Nach dem Anziehen des blauen Crew-Overalls werden wir zur DeepSee geführt. Noch ist das Mini-U-Boot in einem speziellen Bereich des Hecks von seinem Transportschiff Argo geparkt. Das umfangreiche Briefing mit Eli Temime, dem Kapitän des U-Boot-Mutterschiffes TopSee, kann beginnen. Er merkt uns die Ungeduld an und zieht die Informationspflicht nicht unnötig in die Länge. Schließlich sind wir einen weiten Weg hierhergekommen, um wie Kapitän Nemo aus Jules Vernes Roman 20.000 Meilen unter dem Meer in die ewige Finsternis der Ozeane hinabzutauchen.

Foto: ASAblanca.com / Harald Slauschek

Abtauchen ab 900 Euro

Es ist ein Traum vieler, der aber bis dato nur für wenige Auserwählte realisierbar war. Doch mit der DeepSee können nun auch Nichtwissenschafter gegen einen leistbaren Betrag ab 900 Euro Tauchfahrten rund um Cocos Island vor Costa Rica machen. Bis in eine Tiefe von rund 300 Meter ist das möglich, denn wie wir alle wissen, sind Jules Vernes 20.000 Meilen Science-Fiction.

Imposanter Rundumblick

Vorher sind noch Haftungsausschlüsse zu unterschreiben, doch das war uns klar. Wir haben im Vorfeld dennoch nie Bedenken gehabt. Tauchgänge mit der DeepSee gehören zu den sichersten ihrer Art. Rund 1.700 komplikationslose Tauchgänge seit 2005 sind eine beruhigende Referenz. Auch der markanteste optische Teil des U-Boots wirkt vielversprechend. Es ist die aus zwei Teilen bestehende Acrlyglaskugel mit einem Innendurchmesser von rund eineinhalb Metern, in der wir während der Tauchfahrt sitzen werden. Sie verschmilzt förmlich mit dem Wasser und bietet so einen imposanten Rundumblick, der optimal für Fotografen, Filmer und beobachtende Wissenschafter ist. Die große Wandstärke von zehn Zentimentern wirkt zusätzlich beruhigend auf uns.

Sechs bis acht Stunden unter Wasser

Vorsichtig steigen wir ein, und Felipe Chacón, der Pilot der Tauchfahrt, erläutert die Instrumente, Anzeigen, Kommunikations- und Sicherheitssysteme. Das ist notwendig, obwohl die lebenserhaltenden Systeme der DeepSee auf bis zu 72 Stunden ausgelegt sind. Ein Taucheinsatz des U-Bootes kann bei der maximalen Fahrtgeschwindigkeit von etwas mehr als drei Kilometer pro Stunde sechs bis acht Stunden betragen. Abgesehen davon steht die DeepSee mit der TopSee in ständigem Kontakt und wird mittels Echolot und GPS geleitet. Doch die DeepSee muss auch dann nach oben gebracht werden, sollte unserem Piloten etwas zustoßen. Wir gehen davon aus, dass es nur bei der Theorie bleibt.

Foto: ASAblanca.com / Harald Slauschek

Aufbruch ins Zwielicht

Nach dem Durcharbeiten der Checkliste werden wir von der TopSee in rund 30 Minuten von der Argo zu unserem Tauchplatz vor Cocos Island gezogen: „The Wall“ wird hier eine Steilwand genannt, die von 180 Metern auf mehr als 800 Meter senkrecht abfällt. Moño Castro, der Supporttaucher, löst die Transportseile, und wir sind tauchbereit. Die mit Luft gefüllten Auftriebskörper werden geflutet, und wir sinken, unser Ziel ist die Twilight-Zone.

Als Twilight-Zone wird der Tiefenbereich von ungefähr 200 bis 1.000 Meter in den Ozeanen bezeichnet, der maximal noch dunkelblaues Dämmerlicht zulässt und großteils schon stockdunkel ist. Mehr als 70 Prozent der Wassermassen unseres Planeten befinden sich in diesem Bereich, erst darunter beginnt die Tiefsee. Aktuell gilt nur rund ein Prozent der Tiefsee als erforscht.

Der Pilot jodelt vor Begeisterung

Auf dem Weg nach unten erleben wir die ersten 100 Meter als eher unspektakulär. Der Unterschied zum normalen Sporttauchen ist gering. Noch wird es auch nicht richtig dunkel. Kleine Gruppen von Mobula-Rochen kreisen immer wieder ums U-Boot. Sie wirken interessiert und kommen nahe heran. Wir haben das Gefühl, dass wir sie ohne Acrylglaskugel mit ausgestreckter Hand berühren könnten. Und das Gefühl trügt nicht: Ein Mobula kollidiert mit der Kuppel, die Erschütterung ist deutlich spürbar, und Pilot Felipe jodelt vor Begeisterung: "Das ist wirklich nah - und noch nie zuvor passiert!"

Krebstiere tummeln sich auf dem Schlammboden

In einer Tiefe von 180 Metern erreichen wir den in dieser Gegend typischen Schlammboden, auf dem nur vereinzelt Felsen zu sehen sind. Wir schweben auf dem Weg zur Abbruchkante der Cocos-Falte über Krebstiere, die sich auf diesem Untergrund tummeln. Als die Kante sichtbar wird, steigt die Spannung. Es ist ein ähnliches Gefühl wie beim Schnorcheln über einem Riffdach, bevor man zur Riffkante kommt. Die Scheinwerfer der DeepSee erhellen nur mehr teilweise das tiefschwarze Wasser. Langsam gleiten wir tiefer und lassen die Kante hinter uns. Wir können sie beim Blick nach oben gegen das dunkelblaue Wasser noch eine Zeitlang ausmachen. Ein Anblick, der intensiv und fesselnd ist.

Foto: ASAblanca.com / Harald Slauschek

Prickelnde Täuschung

Unser Blick ist direkt auf die von den Scheinwerferkegeln erhellte Steilwand gerichtet. Wir möchten unbedingt einen bis zu vier Meter langen Tiefseehai, den sogenannten Prickly Shark oder Echinorhinus cookei zu Gesicht bekommen. Und tatsächlich, schräg unter uns sehen wir seine Silhouette. Der Hai wirkt relativ klein und gute fünf bis zehn Meter entfernt. Felipe erklärt, dass das bloß eine optische Täuschung sei. Aufgrund der Verzerrungen durch die Acrylglaskugel wirken die Proportionen und Distanzen komplett falsch. Felipe meint, der Hai sei zwar noch gute 25 Meter entfernt, dafür aber bestimmt zwischen drei und vier Meter lang.

Der Prickly Shark lässt uns nicht mehr näher an sich heran und entschwindet langsam in die Tiefe. Eine Verfolgung ist zwecklos, denn wir sind bereits an unserer Tiefengrenze von 300 Metern angelangt. Bis auf 311 Meter schweben wir noch hinab, dann beendet Felipe die Abtauchphase.

Mit offenen Mund an der Steilwand hinauf

Es geht wieder nach oben. Wir beobachten weiterhin die Steilwand und entdecken Conger-Aale, Muränen, Krebstiere und Barsche. Ein Krötenfisch saugt, gerade als die Scheinwerfer ihn noch besser erkennen lassen, mit dem blitzschnellen Öffnen seines Maules einen Beutefisch an und verspeist ihn. Auch unsere Mäuler sind jetzt weit geöffnet.

Wir passieren die Abbruchkante und schweben im Freiwasser der Oberfläche entgegen. Mit einem mächtigen Plopp durchbrechen wir die Wasseroberfläche. Kein Wunder, wenn dieser Plopp in unseren Ohren klingt wie das Korkenknallen einer Champagnerflasche. (Harald Slauschek, Rondo, DER STANDARD, 13.06.2014)