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STANDARD: Argentinien schuldet NML-Capital etwas mehr als eine Milliarde Dollar. Warum zahlt das Land diesen Betrag nicht und beendet damit den jahrelangen Rechtsstreit?

Musacchio: Es geht im Streit zwischen NML und Argentinien zwar wirklich um vergleichsweise wenig Geld. Aber wenn der Hedgefonds das Verfahren endgültig gewinnt, dann rollt auf Argentinien eine Klagewelle zu. NML ist nur einer von mehreren Gläubigern, die sich der Teilentschuldung des Landes 2005 und 2010 widersetzt haben. Argentinien schuldet dieser Gruppe von unnachgiebigen Spekulanten rund 15 Milliarden Dollar, und für sie alle ist der Sieg des Hedgefonds ein wichtiger Präzedenzfalll. Zudem gefährdet das Verfahren nachträglich die Entschuldung von damals.

STANDARD: Warum?

Musacchio: Wenn NML nun sein Geld mitsamt Zinsen zurückbekommt, werden sich die übrigen Gläubiger fragen: Warum haben wir der Entschuldung zugestimmt? Die Investoren wären versucht, den Deal nachträglich aufzukündigen. Das ist auch die internationale Dimension des Falles: Welcher Gläubiger soll in Zukunft einer staatlichen Entschuldung zustimmen, wenn er sich auf dem Klageweg ohnehin alles holen kann? Eine Umschuldung Griechenlands wird damit künftig wesentlich schwieriger.

STANDARD: Argentiniens Präsidentin Kirchner hat im TV wieder angekündigt, nicht nachzugeben. Welche Optionen hat sie?

Musacchio: Ihre Regierung wird mit dem Hedgefonds verhandeln müssen, aber ob man sich einigt, ist fraglich. Für Kirchner geht es um viel. Sie hat versprochen, Argentiniens Schuldenproblem zu lösen. Das Land zahlt seine Schulden deshalb seit ein paar Jahren pünktlich seinen Gläubigern zurück und versucht seinen Schuldenstand zu reduzieren. All das gerät nun in Gefahr. Für die Regierung ist es auch eine moralische Frage: Der Hedgefonds NML hat spekuliert und die Schuldscheine Argentiniens erst gekauft, als die Zahlungsunfähigkeit des Staates absehbar war. Wenn NML sein Geld nun 1:1 bekommt, wäre das aus Sicht der Regierung unmoralisch.

STANDARD: Ist es unmoralisch: NML hat den Streit vor unabhängigen US-Gerichten gewonnen, juristisch scheint der Hedgefonds im Recht zu sein.

Musacchio: Das kann sein. Aber der springende Punkt ist ein anderer: Der Fall zeigt die dramatischen Folgen der Deregulierung der Finanzsysteme in den vergangenen 30 Jahren. Aufgrund dieser Liberalisierungstendenz existiert heute kein internationaler Mechanismus, der vorgibt, wie mit Staatspleiten umzugehen ist. Deshalb kann es sein, dass sieben Prozent der Gläubiger die Umschuldung Argentiniens boykottieren können, obwohl ihr 93 Prozent zugestimmt haben.

STANDARD: Notwendig wäre also ein internationales System für Staatsinsolvenzen?

Musacchio: Notwendig wäre ein System, dass krasse Fälle von Spekulationen wie bei NML verbietet. Zumindest sollten die Rechte der Spekulanten nicht höher bewertet werden als die Menschenrechte. Vor der Umschuldung hat Argentinien versucht, seine Schulden voll zurückzuzahlen. Dafür wurde rigoros gespart. Ein großer Teil der Bevölkerung stürzte in Armut, jeder Vierte verlor seinen Job. Die Entschuldung war notwendig, um diese Misere zu beenden. Das sollte niemand vergessen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 18.6.2014)