Die Wiener Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou (Grüne) und der Tiroler Wohnbaulandesrat Johann Tratter (ÖVP) sprachen über holprige Widmungsverfahren, die Bedeutung von Bürgerbeteiligungen und die Vereinbarkeit von Wohnbau und Denkmalschutz. Gerfried Sperl moderierte.
STANDARD: Frau Vizebürgermeisterin, wie kann man in Wien die Stadtplanung mit Denkmalschutz vereinbaren?
Vassilakou: Lassen Sie mich ausholen. Das Wichtigste ist Innenverdichtung vor Außenwachstum, vorhandene Potenziale besser nutzen. Das bedeutet mitunter auch Wohnen im Denkmalschutz. In Wien ist es nicht vorgesehen, dass Denkmalschutz und Naturschutz im Widmungsverfahren erörtert werden. Man erhält eine Widmung, und wenn man später eine Baubewilligung will, ist es nicht ausgeschlossen, dass man eine böse Überraschung erlebt und man die Widmung nicht verwirklichen kann. Ich halte dieses System nicht für zukunftsfreundlich, weder für planer- noch für investorenfreundlich. Wir müssen strategische Umweltprüfungen in Widmungsverfahren vorsehen und öfter durchführen. Aber ab welcher Größe, ab welcher Relevanz? Das ist ein heißes Thema. Wenn man immer eine Prüfung macht, würde es unsere Kapazitäten überfordern. Wir müssen die goldene Mitte finden, daran arbeiten wir derzeit. Und beim Denkmalschutz braucht es allen voran eine Haltung. Meine Haltung ist, dass es möglich sein muss, Altes mit Neuem bestmöglich zu kombinieren, weil wir Potenziale nutzen wollen und weil es jeder Generation möglich sein muss, dass sie Neues schaffen kann. Deshalb trete ich für einen aktiven Denkmalschutz ein, der Schönes und Altes wahrt, aber auch Möglichkeiten der Weiterentwicklung aufzeigt. Die Vorgaben müssen wir schon im Widmungsverfahren besser integrieren, damit es nicht zu Leerläufen kommt.
STANDARD: Herr Landesrat, wie weit wird strategischer Denkmalschutz in Tirol berücksichtigt?
Tratter: Ich denke nicht, dass das große Problem beim Wohnbau der Denkmalschutz ist. In meiner Heimatstadt Hall in Tirol wurde die mittelalterliche Stadt so revitalisiert, das es heute mehr Bewohner gibt als vorher. Wir haben auch das Glück, dass die Landeskonservatoren viel Verständnis für Wohnbau haben und uns helfen, Lösungen zu finden. Wir müssen moderne Architektur zulassen, und sensibel damit umgehen. In 200 Jahren werden neben dem Barock vielleicht diese Bauten das Herzeigbare sein.
STANDARD: Und welche Rolle spielen dabei Bürgerinitiativen?
Vassilakou: Eine ganz wichtige. Es wird immer behauptet, dass Bürgerbeteilung den Planungsprozess verlangsamt und dazu führt, dass weniger dicht gebaut wird. Das ist für Wien relevant. Die 20.000 neuen Wiener, die im vergangenen Jahr dazugekommen sind, müssen irgendwo wohnen. Jede geförderte Wohnung, die wir heute weniger bauen, ist auch in Jahrzehnten nicht da. Dennoch bin ich zutiefst überzeugt, dass Bürgerbeteiligung ein Weg ist, den man gehen muss. Denn wenn man die Umgebung frühzeitig in die Planung einbindet, dann hat man bessere Chancen, dass die Legitimation des Projekts anerkannt wird; man hat die Chance auf bessere Planungsergebnisse, weil die in der Umgebung oft besser wissen, was sie brauchen. Das gilt auch für die Schaffung von Infrastruktur wie Spielplätze oder Parks. Ein weiterer guter Weg ist ein großzügigeres Miteinbeziehen von Baugruppen im sozialen Wohnbau. Es braucht weiterhin den institutionalisierten sozialen Wohnbau, aber die Selbstorganisation ist eine wesentliche und wachsende Säule unserer Gesellschaft. Dem sollten wir mehr Raum geben. Auch das kann uns helfen, Kosten zu sparen.
STANDARD: Und wie wollen Sie das erreichen?
Vassilakou: Wir arbeiten derzeit an einer Systematik der Bürgerbeteilung. Es kann nicht sein, dass diese nur punktuell stattfindet und immer neue Regeln erfindet. Wir müssen klarstellen, wann sie zum Einsatz kommt, ab welcher Größe und mit welcher Methode. Das wollen wir noch im Jahr 2014 vorlegen. Denn mit dieser Systematik können wir auch mehr Akzeptanz erreichen.
Tratter: Bürgerbeteilung führt oft dazu, dass Verfahren besser und wesentlich professioneller werden müssen. Es gibt in der Verhaltensforschung den Begriff der Schwarmintelligenz. Das gilt auch für die Planung: Wenn man Bürger entsprechend einbindet, hat man danach weniger Widerstände und erhält unterm Strich eine bessere Qualität. Aber wir haben in der Raumordnung auch das Problem der Verrechtlichung. Planer sind immer mehr damit beschäftigt, das Raumordnungsrecht nachzuvollziehen. Wir haben eine Entwicklung, in der wir alles derartig mit Bestimmungen überfrachten, dass es dann am Ende für alles eine eigene Widmungskategorie gibt. Die Menschen verstehen gar nicht mehr, wovon die Juristen reden. Bürgerbeteiligungen helfen uns, die Verfahren auf den Boden zurückholen und zu entscheiden: Was brauchen wir wirklich an Legistik und Verordnungen?
Vassilakou: Das kann ich nur bestätigen. Wir werden bald eine Bauordnungsnovelle beschließen, die uns die Möglichkeit geben wird, die Widmungskategorie förderbaren Wohnbau einzuführen und erstmals zu einem bescheidenen Teil Widmungsgewinne abschöpfen, um sie in Form von städtebaulichen Verträgen zu verwenden. Das ist ein erster Schritt in Wien. Ich bin der Meinung, dass man weitaus mutiger abschöpfen sollte, um so mehr Boden zu mobilisieren. Die wahre Gefährdung des sozialen Wohnbaus kommt weder von Natur- noch vom Denkmalschutz, sondern von den davongaloppierenden Bodenpreisen. Wenn wir das nicht in den Griff kriegen, wird der soziale Wohnbau in wenigen Jahren verunmöglicht sein. Ich befürworte jede wirksame Bodenmobilisierungsmaßnahme. Ein mutiges Abschöpfen der Widmungsgewinne ist auch ein wirksames Mittel gegen die Gier, weil es dann keinen Sinn hat, so zu spekulieren, wir jetzt. (Gerfried Sperl, DER STANDARD, 18.6.2014)