Das Einzige, was störte an dieser großen Mannschaft, war ihr Kampfname. Eine Furie nämlich war diese Mannschaft nie. Sie war – wie jede wirklich große Mannschaft – stets jene elegante Dame, die mit leicht unterkühlter Noblesse zugange ist; das Tagwerk verrichtet, als würde sie am Champagnerglas nippen: mit abgespreiztem kleinem Finger. Man schließe nur kurz die Augen und stelle sich Wayne Rooney neben Andrés Iniesta vor oder Nigel de Jong neben Xavier "Xavi" Hernández – dann hat man das Bild.

Nun ist die Furia Roja tot. Zwei Auftritte hat der regierende Weltmeister absolviert (oder besser) erlitten. Traurig war es zuzusehen, wie Spanien durch das 1:5 gegen Holland und das 0:2 gegen Chile getaumelt war, und am traurigsten war das Gesicht von Xavi, wie er da draußen auf der Ersatzbank hocken und die Tragödie des eigenen Sterbens mitansehen musste.

Es ist absehbar gewesen. Überraschend war nur die Entschlossenheit, mit der die Spanier sich ins Unvermeidliche geschickt haben. Wie bei alten Menschen werden auch bei alten Fußballmannschaften die Eigenschaften – auch und vor allem die hervorragenden – zu Marotten. Die Leute, sagt man, werden halt wunderlich.

Und das genau ist den Spaniern passiert. Altersstarrsinnig haben sie sich geweigert, ihr zur absoluten Perfektion entwickeltes Scheiberlspiel, den temporeichen Kurzpasswirbel, auf jene spielerischen Antworten zuzufeilen, die andere Teams auf das Tiqui-Taca längst schon gefunden haben. Vicente del Bosque, der Trainer, der Spanien zu einem EM- und einem WM-Titel gecoacht hat, wirkte ratlos. Xavi brachte die Taktik auf den Punkt: "So spielen wir, so sterben wir." Sie spielten nicht.

Dass das am Tag der endgültigen Abdankung von König Juan Carlos geschah – jenem Monarchen, der unbeirrbar und mit einigem persönlichen Mut die faschistische Diktatur in eine moderne Demokratie verwandelte – ist klarerweise bloßer Zufall. Aber es ist eine schöne Koinzidenz. Die Furia Roja hatte vom ersten Augenblick an etwas Monarchisches. Aber wie man weiß, neigen alte Monarchien ja auch manchmal zu schrulligen Wunderlichkeiten.

Das Sterben ist eingewoben in den Lauf der Welt, den zu theatralisieren der Fußball in seinen starken Momenten durchaus imstand ist. Auf der Parte der Furia Roja steht deshalb nicht: "Wir trauern dir und deiner Art nach." Sondern: "Wir freuen uns, dass du und deine Weise dagewesen sind."

Andere mit anderer Art und Weise werden kommen, ungewiss noch wer und wie. Aber im Kern werden sie tun, was auch die spanische Fußballmannschaft getan hat und andere schon vor ihr: die Erdschwere als etwas Luftiges, das Rüpelhafte als etwas Feenhaftes, die Mühsal als etwas Bezauberndes ins Spiel zu bringen; den Schweiß also darzustellen nicht als etwas Transpiriertes, sondern etwas Transzendiertes. Sowas ist es, das den Sport in manchen Momenten zur Kunst macht.

Die Furia Roja hat uns viele solcher Momente geschenkt. (Wolfgang Weisgram, derStandard.at, 19.6.2014)