Nur zwei Tage nach dem behördlichen Okay für den Auftritt des türkischen Premiers Recep Tayyip Erdogan hatte dieser am Donnerstag in der Albert-Schultz-Eishalle in Wien-Donaustadt eine regelrechte Heimspielkulisse: Bühne mit riesigem Erdogan-Konterfei, Fahnen der Türkei, aber auch der EU und Österreichs, Logo des Veranstalters, der Union of European Turkish Democrats (UETD). Über die Videowand flimmern Werbung für Döner-Fabrikanten und Livebilder vom Parkplatz vor der Halle, wo sich bis zum Nachmittag rund 7.000 Erdogan-Fans mit Sprechchören einstimmten.

Video: Fans von Erdogan und Ausschnitte aus der Rede in der Wiener Eishalle.
usslar
Video: Stellungnahmen von Anti-Erdogan-Demonstranten.
kretschmer & puktalovic

Metin Külünk, ein AKP-Abgeordneter mit Schwerpunkt Auslandstürken, peitscht die Anwesenden bereits um knapp 13 Uhr mit einer flammenden Rede ein. Der österreichische Außenminister Kurz habe kein Recht, einem türkischen Ministerpräsidenten vorzuschreiben, wie er zu reden habe und was er seinen "Landsleuten" zu sagen habe. Er macht außerdem darauf aufmerksam, dass Europa einen starken Partner dringender als je nötig habe, da aufgrund der Krise in der Ostukraine die Energiesicherheit Europas nur mit der Türkei sichergestellt sei.

Auch der UETD-Österreich-Obmann Abdurrahman Karayazili spricht gegen 13.30 Uhr zur Menschenmenge auf dem umfunktionierten Parkplatz und schwört die Anwesenden darauf ein, auch nach dem Erdogan-Besuch am eingeschlagenen Weg festzuhalten, und das natürlich unter Führung der UETD.

Um 14.30 Uhr hätte der Premierminister laut Programm seine Rede beginnen sollen, doch Erdogan ist bekannt dafür, sich auf seiner inoffiziellen Wahlkampftour für die Präsidentenwahl Zeit zu lassen. Also erschallt immer wieder die eigens komponierte Recep-Tayyip-Erdogan-Hymne.

Tausende demonstrieren gegen Erdogan. Er habe Blut an den Händen, steht auf einem der Plakate.
Foto: Christian Fischer

Auch fünf Kilometer stadteinwärts, am Praterstern unweit dem Riesenrad, werden tausende Fahnen geschwungen. Doch die Transparente sprechen eine andere Sprache: "Erdogan, get out of Vienna", steht da, "Tyrann", "Terrorist" und "Mörder" lauten die Beschuldigungen. An die 6.000 Erdogan-Gegner, darunter viele kurdische und alevitische Vereine, setzen sich gegen 15 Uhr in Bewegung Richtung Eishalle. Selten zeigt sich die türkische Spaltung derart deutlich auf österreichischem Boden, wo Erdogan auf möglichst viele Wählerstimmen der 90.000 hier lebenden Auslandstürken hofft.

Der Marsch zur Eishalle verläuft weitgehend friedlich, vor einem türkischen Lokal in der Lassallestraße verdichten sich verbale Scharmützel von Erdogan-Befürwortern und -Gegnern zu handgreiflichen Auseinandersetzungen. Die Polizei - insgesamt mit einem Großaufgebot wie bei einem offiziellen Staatsbesuch im Einsatz - geht mit Pfefferspray dazwischen.

Tausende Fans kamen in die Albert-Schultz-Eishalle in Wien, um Erdogan zu sehen und zu hören.
Foto: Christian Fischer

Rund um die Eishalle wird es nicht nur wettermäßig heiß. VIPs und Pressevertreter drängen sich vor der Absperrung, die jungen Securitys sind überfordert. Gegenüber österreichischen Journalisten zeigen die Veranstalter eine gewisse Skepsis: Dem Team von "Heute" wird trotz Akkreditierung der Zutritt verwehrt.

Für Besucher mit deutschen Reisepässen hingegen gibt es plötzlich Freikarten, obwohl offiziell schon alle Tickets vergeben sind. Dann das Intro in der Halle: "Wien wird ab dem 19. Juni nicht mehr Wien sein", verkündet der Vorsitzende der Europäisch-Türkischen Demokraten. Auch der türkische EU-Minister Mevlüt Çavusoglu, der den kürzlich wegen eines Korruptionsskandals abgelösten Egemen Bagis ersetzte, lauscht den Worten. Als der Premierminister schließlich mit eineinhalbstündiger Verspätung endlich die Bühne betritt, braust ein Begeisterungssturm durch die Halle. Dank angeordneter Verteilung der Türkei-Fahnen ist das rote Meer lückenlos.

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Vereinzelt gab es Konflikte, die Polizei setzte Pfefferspray ein.
Foto: APA/HERBERT P.OCZERET

Erdogan, der im Sinne des großen Bruders sein Publikum gerne mit "Kardes", also "Geschwister", anspricht, legt los. Hier in Wien spricht er die Anwesenden als die "Enkel von Kara Mustafa" an, des an den Toren Wiens gescheiterten osmanischen Feldherrn. Er wolle sich nicht in innenpolitische Angelegenheiten einmischen: "Mein einziges Ziel seid ihr! Ihr könnt auf diese Türkei stolz sein." Türken im Ausland sollten sich in die Gesellschaft integrieren, Deutsch lernen, aber sich nicht assimilieren, empfiehlt Erdogan - ähnlich wie schon bei seiner Rede in Köln.

Kritik übt er an anderen Parteien in der Türkei, insbesondere an früheren Regierungen, die kopftuchtragende Frauen diskriminiert und islamische Menschen benachteiligt hätten. Zur Polizeigewalt im Istanbuler Gezi-Park sagt er, das Problem seien Demonstranten, die der Türkei schaden wollten. Wer etwas verändern wolle, solle nicht auf die Straße gehen, "sondern konstruktiven Dialog betreiben". (Rusen Timur Aksak, Berthold Eder, Michael Simoner, derStandard.at, 20.6.2014)