Wien - Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) hat seine Kritik an der Rede des türkischen Premierministers Recep Tayyip Erdogan vom vergangenen Donnerstag in der Kagraner Albert-Schultz-Eishalle erneuert. Der Protest gegen die Veranstaltung war seiner Ansicht nach "nicht übertrieben", wie der Minister am Sonntagabend in der ORF-Sendung "Im Zentrum" sagte.
Österreich habe schon vor der Erdogans Besuch in Wien eine klare Haltung zu dessen Vorhaben gehabt, "wohl wissend, wie die Veranstaltungen in Deutschland abgelaufen sind". "Unsere Sorge hat sich leider Gottes im Nachhinein als richtig herausgestellt." Österreich sei zwar ein kleines Land, habe aber trotzdem das Recht auf eigene Standpunkte, erklärte der Außenminister.
"Nicht besonders höflich"
Der türkische Premier habe eine Wahlkampfrede gehalten, Unruhe ins Land gebracht und ein Polizeigroßaufgebot aufgrund der Demonstration und der Gegendemonstrationen notwendig gemacht. Das Thema Integration sei wieder furchtbar emotional diskutiert worden, nachdem es zuvor schon auf eine sachlichere Ebene gehoben worden sei. Zusätzlich dazu sei die Art des privaten Besuches des türkischen Premiers "eher ungewöhnlich und vielleicht auch nicht besonders höflich dem Gastland gegenüber gewesen". Üblicherweise treffe man sich etwa mit dem Bundeskanzler oder dem Bundespräsidenten des Landes, erklärte Kurz.
Erdogans Gebot an seine Anhänger, deutsch zu lernen und sich zu integrieren, sich aber keinesfalls zu assimilieren, sei etwa eine Provokation gewesen. Jeder solle das individuell für sich entscheiden. Würde in Österreich Assimilierung verlangt werden, wäre das nach Ansicht des Außenministers eine Provokation.
Kritik auch von Grünen
"Nur die FPÖ verlangt Assimilation, sonst niemand", stimmte die Integrationssprecherin der Grünen, Alev Korun, dem Außenminister zu, "deshalb verstehe ich das nicht". Kritisieren könne man auch, dass in der Türkei unter Erdogans Führung das Recht auf Meinungsfreiheit in den letzten Jahren scheibchenweise abgetragen werde - und zugleich im Gastland Rede- und Meinungsfreiheit in Anspruch genommen werde. Korun stimmte mit Kurz' Kritik an der Wahlkampfrede überein: "Viel klarer kann man Wahlkampf nicht machen." Korun kritisierte zudem den historischen Zugang Erdogans zu den sogenannten Türkenbelagerungen Wiens (1529 und 1683) und seine Bezeichnung der türkischstämmigen Bevölkerung Österreichs als "Enkel von Süleyman (dem Prächtigen, Anm.)" oder "Erben von Helden wie Kara Mustafa".
90.000 Wahlberechtigte in Österreich
Der Mitbegründer der Plattform "New Vienna Turks" und Pro-Erdogan Aktivist, Fatih Köse, kritisierte demgegenüber eine unfaire Sichtweise auf den Besuch Erdogans. Ob der Premier Wahlkampf geführt habe oder nicht, wollte der Österreicher aus dritter Generation mit türkischen Wurzeln nicht beurteilen. Nur 0,01 Prozent der österreichischen Bevölkerung, rund 90.000 Personen, seien für die Wahlen in der Türkei zugelassen. Müsse es da einen "derartigen Aufschrei" geben?
Aus Köses Sicht hat Erdogan etwas erfüllt, das die österreichische Politik verabsäumt habe. Die Regierung habe es versäumt, sich um "Wertkonservative" zu kümmern. "Das sollte doch nicht ein ausländischer Staatsmann machen müssen, Wertschätzung entgegenzubringen?", fragte er.
Güngör: Erdogan kümmert sich
Der Soziologe Kenan Güngör erklärte, dass es über Jahrzehnte verabsäumt worden sei, sich um türkischstämmige Menschen im Ausland zu kümmern - sowohl vonseiten der Türkei als auch der Zielländer. Da dürfe man sich nicht wundern, wenn Erdogan so gut ankomme, erklärte er. Vom Wählerpotenzial für Erdogan ähnele Österreich einer kleinen Stadt in der Türkei, das sei nicht entscheidend, erklärte er. Es gehe vielmehr darum, dass Erdogan sich jetzt symbolisch als Erster um türkische Migranten im Ausland kümmere.
Hannelore Schuster von der Bürgerinitiative "Moschee ade" beklagte sich darüber, dass Erdogan "wieder Unfrieden" reingebracht habe. "Ich finde das schlimm", sagte sie. Integration sei ein schwieriges Thema und Erdogan mache ihr mit seinen Aktivitäten in der EU Angst. "Da werde ich wütend", erklärte sie. (APA, 23.6.2014)