Eine Reihe rebellischer Wachauer Winzer geht neue Wege, unter internationalem Beifall.

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Martin Muthenthaler, Bachstraße 11, 3622 Mühldorf/Wachau

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Elisabeth Pichler-Krutzler und Erich Krutzler, 3601 Dürnstein

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Foto: Pichler-Krutzler

Peter Veyder-Malberg, Ottenschlägerstraße 14, 3620 Spitz an der Donau

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Foto: Gerd Kressl

Es weht ein raues Lüftchen hier oben. Steil fallen die Terrassen der Ried Bruck ab bis zur Donau. Mit einer Spitzhacke schlägt Martin Muthenthaler Löcher in die Erde seines Weinberges. Sehr tief kommt er nicht, denn der Boden ist steinhart. Stolz präsentiert er einen glimmernden Brocken, der nur unter festem Reiben zerbröselt. "Meine Weine sind anders als das, was sonst hier gemacht wird", sagt er, "vielleicht riechen sie nicht nach Pfirsich oder Marille. Aber sie geben den Boden unverfälscht wieder!"

Muthenthaler zählt zu einer Handvoll abtrünniger Winzer in der Wachau, die Konventionen und Regeln des hiesigen Weinbaus massiv infrage stellen. Ausgerechnet in der Wachau, die den Ruf hat, Neuerungen gegenüber so offen zu sein wie ein Tiroler Brauchtumsverein. Die hier ansässigen Winzer gelten als ideologische Hardliner und ultraorthodoxe Verfechter einer strengen Ordnung.

Keine Veränderung

"Das Neueste bei uns ist, dass nichts neu ist - wir arbeiten seit 30 Jahren gleich", meint etwa Franz Hirtzberger junior. Gemeinsam mit seinem Vater leitet er einen der führenden Betriebe. Um die notorische Abneigung gegen jede Art von Veränderung in Stein zu meißeln, gründeten sie 1983 die Vinea Wachau, einen Verein, dessen Statuten sich alle namhaften Winzer freiwillig unterwarfen. Hier wurde festgelegt, wie Wachauer Wein gemacht wird und wie er zu schmecken hat. Und davon rückte man keinen Millimeter ab. Ihre edlen Kreszenzen gelangten zu Weltruhm und erzielen Höchstpreise.

Leichter und eleganter

Muthenthaler und seine Mitstreiter haben dennoch anderes im Sinn. Sie verspüren nicht die geringste Lust, sich in das Korsett der heiligen Winzervereinigung zwängen zu lassen, haben eigene, andere Vorstellungen vom Weinmachen: Leichter und eleganter sollen ihre Wachauer sein. Authentische Gewächse, die nicht in extremen Alkoholwerten ersticken. Weine, wie man sie ganz früher in der Wachau gemacht hat. In einer Zeit, als es weder technische Möglichkeiten noch chemische Mittelchen gab, den Wein in die gewünschte Form zu biegen.

"Jeder Eingriff verändert den Charakter des Weins, macht ihn weicher und gefälliger. Mit Terroir hat das aber nichts zu tun!", ereifert sich Muthenthaler. Mutige Worte, ist doch das Terroir, also die spezifische Prägung durch Boden, Lage und Klima, eine heilige Kuh der Region. Der Einzigartigkeit des Terroirs verdankt man den weltweiten Ruhm. Allein: Wie diese Lagen geschmacklich am besten zum Ausdruck kommen, darüber ist man in der berühmten Anbauregion unterschiedlicher Ansicht.

Argwöhnisches Mustern

Das Winzerpaar Pichler-Krutzler zeigte als eines der Ersten, dass Wachauer Rebsaft auch ohne barocken Zuckerguss auskommt. Ihre Rieslinge und Veltliner sind allesamt knochentrocken, äußerst mineralisch und animierend. "Anfangs wurden wir von Kollegen argwöhnisch gemustert", erinnert sich Erich Krutzler, "haben wir doch mit einigen sakrosankten Gepflogenheiten aufgeräumt." Die zurückgenommene Stilistik ihrer Weine fand vor allem international große Anerkennung. In der Wachau war man irritiert, zeigte sich aber standhaft und setzte weiterhin auf voluminöse Weine mit hohem Alkohol und samtiger Textur. Beste Bewertungen und Verkaufszahlen gaben ihnen recht. Bis das Ganze auf die Spitze getrieben wurde.

Vernichtendes Urteil

Nun regt sich Kritik von Händlern und Gastronomen. Die Weine ließen sich nur mehr schwer verkaufen, sie seien übermächtig und anstrengend, mäkelt man hinter vorgehaltener Hand. Leopold Kiem, bis vor kurzem Sommelier des Sterne-Restaurants Filippou in Wien, spricht aus, was viele denken: "Immer mehr Gäste sind der schweren Veltliner und Rieslinge mit ihrem standardisierten Geschmack überdrüssig." Eine Trendumkehr zeichne sich ab. Auch Weinfachleute aus dem Ausland zeigen sich zunehmend skeptisch. Mads Kleppe etwa, Chefsommelier des Kopenhagener Restaurants Noma, machte erst unlängst im Profil seinem Unmut gegenüber den großen Wachauer Weinen Luft: "Für mich persönlich sind sie einfach nicht mehr interessant. Zu reif, zu alkoholisch, zu üppig." Ein ziemlich vernichtendes Urteil, gilt doch das Noma als angeblich "bestes Restaurant der Welt" als wesentlicher Trendsetzer.

Die Wachauer Traditionalisten sehen dennoch keinen Handlungsbedarf. Um Trends hätten sie sich nie gekümmert: "Die ausladende Stilistik ist eben unser Markenzeichen, ein Volumsprozent mehr oder weniger Alkohol nehmen wir dabei gerne in Kauf", wischt Franz Hirtzberger junior die Kritik vom Tisch. Für die gewünschte Überreife werden die Trauben spät gelesen. Man ist davon überzeugt, dass lange Reifezeit unabdingbar sei für einen deutlichen Terroirausdruck. "So lange wie möglich im Weinberg, so kurz wie möglich im Keller, das ist unsere Devise!"

Themenverfehlung

Eine Ansicht, die Martin Muthenthaler so gar nicht teilen will. Er glaubt, nur mit früherer Lese und langer Kellerreifung die spezifischen Eigenschaften der Lage einfangen zu können. Zucker und Alkohol hingegen übertünchen nach seinem Dafürhalten den Geschmack. "Wenn ich einen Veltliner mit 14,5 Volumsprozent mache, dann hab ich das Thema verfehlt."

Tatsächlich präsentieren sich seine Weine präzise und feingliedrig, sie sprühen nur so vor Mineralik. Der gelernte Kfz-Mechaniker hat erst vor einigen Jahren begonnen, selbst Wein zu machen. Seine Eltern besaßen zwar Weinberge, lieferten die Trauben aber der Domäne Wachau ab. Er arbeitete 20 Jahre für die Genossenschaft als Fahrer - bis er eingespart wurde. Dann traf er auf Peter Veyder-Malberg, der viele Jahre das Schlossweingut Graf Hardegg betreut und sich 2008 in der Wachau angesiedelt hatte, wo er sein eigenes Weingut biologisch bewirtschaftet. 2010 folgte Muthenthaler dem Beispiel und ließ auch seine Weingartenarbeit zertifizieren.

Wilde Hefe

Im Keller greifen sie kaum ein, vergoren wird mit wilden Hefen aus dem Weinberg. Bioweinbau und Spontanvergärung - das sind immer noch Tabuthemen in der wertkonservativen Wachau. Spontane Gärung sei nicht kontrollierbar, lautet das Credo, sie führe zu unerwünschten Geschmacksergebnissen, und biologischer Weinbau sei sowieso zu riskant.

Peter Veyder-Malberg hat diesbezüglich andere Erfahrungen gemacht: "Spontan vergorene Weine haben zwar einen verlängerten Gärverlauf, bei dem Unerwünschtes passieren kann. Wenn man aber ohne Botrytistrauben arbeitet, gibt's kaum Risiko, und die Weine werden viel eigenständiger". Er sieht sich allerdings auch als Suchender und ist sich bewusst, nicht im Besitz einer allgemein gültigen Wahrheit zu sein: "Ich habe Respekt vor der Arbeit verantwortungsvoller Kollegen - egal ob ich persönlich nun deren Weine mag oder nicht. Geschmäcker sind eben verschieden. Und können sich ändern."

Man sieht: In der Wachau wählen selbst die Revoluzzer ihre Worte mit großem Bedacht. "Im Grunde sind doch wir die Traditionalisten, verzichten wir doch auf all die modernen Mittel", sinniert Martin Muthenthaler und lächelt verschmitzt. Sorgsam reinigt er seine Spitzhacke, packt sie ein und steigt den steilen Pfad hinab ins Dorf. (Christina Fieber, Rondo, DER STANDARD, 27.6.2014)