Foto: Standard, Cremer

Offener Brief an die Bildungs- und Frauenministerin zur Abtreibungsdebatte.

Sehr geehrte Frau Ministerin Heinisch-Hosek,

dies ist weder ein Plädoyer für noch gegen Abtreibungen. Dies ist eine Veranschaulichung der sexuellen Bildung einer, wie ich meine, durchschnittlichen Frau in Österreich.

Wie jüngst in der von der Frauengesundheitszentrum ISIS erstellten Studie zu misslungener Verhütung erörtert, sind 43 Prozent der ungewollt schwanger gewordenen Befragten unzureichend über die Möglichkeit einer Schwangerschaft aufgeklärt gewesen. Sie werden sich fragen wie das sein kann. Folgend der Versuch einer Erläuterung.

Desaströser Aufklärungsunterricht

Ich bin 1985 geboren. Der Aufklärungsunterricht in der ländlich geprägten Volksschule, die ich zwischen 1991 und 1994 besucht habe, beschränkte sich darauf, dass uns in einer Unterrichtseinheit gegen Ende der 4. Klasse eine Schuhschachtel hingestellt wurde. Wer wollte konnte Fragen zur menschlichen Reproduktion auf einen Zettel schreiben und hineinwerfen. Sie würden dann persönlich beantwortet werden. Der Sesselkreis kicherte und kuderte und drohte vor Erheiterung auseinanderzubrechen. Es wurden keine Fragen eingeworfen. Damit war die Materie beendet.

Meine nächste Begegnung mit Themen der Sexualität hatte ich, wie anders möglich, in der Zeitschrift "Bravo". Ich war erstaunt über die Vielzahl der Themen, die dort angesprochen wurden. Mir wurde das Taschengeld eingezogen und der Kauf des vermeintlichen "Schundheftes" verboten.

Aufklärung durch Eltern

An meinem 13. Geburtstag gab es dann ein Gespräch am runden Familientisch. Ob ich wisse was ein Jungfernhäutchen sei und dass dieses einreiße beim Eindringen eines Gliedes in die Vagina. Die versuchte Aufklärung war kurz und schmerzvoll. Ich habe mich in den Boden fremdgeschämt und über die abstrakte Herangehensweise meiner Erziehungsberechtigten abgestoßen gefühlt.

Unterbrochen wurde dieser poröse sexuelle Bildungsweg von zwei Unterrichtseinheiten in der Oberstufe wo in zwei illustren Biologiestunden über männliche und weibliche Geschlechtsteile und deren Funktionen gesprochen wurde. Der Ton war etwas professioneller als alles, was ich bisher erlebt hatte und die Integrität der Betrachtungsart wurde nur davon korrumpiert, dass das Abrollen der Kondome auf einem Besenstiel erfolgte und ob des Kontextes ins Lächerliche gezogen wurde.

Schwanger mit 19

Ich habe mit meinen Eltern nie wieder über Reproduktion gesprochen bis zu dem Tag, als ich ihnen mit 19 sagen musste, dass ich schwanger bin.

Wie es dazu kam? Jugendlicher Trotz, Naivität und sexuelle Ahnungslosigkeit. Die Bagatellisierung von Alkohol, Unkenntnis möglicher Geschlechtskrankheiten und Vorurteile gegen hormonelle Präparate treffen in meinem Fall sicherlich auch zu. Ich habe nicht abgetrieben. In meinem Bekanntenkreis gibt es jedoch junge Frauen, die die Pille danach und Abtreibung regelmäßig als Mittel der Wahl zur Verhinderung oder zum Abbruch einer Schwangerschaft verwenden. Manche sind danach erleichtert, manche sind traumatisiert. Es wird wenig bis gar nicht darüber gesprochen.

Handlungsbedarf

Frau Ministerin, bitte nehmen Sie die in der Studie erwähnten Handlungsempfehlungen ernst. Im Sinne der betroffenen Frauen, Männer und Familien und der Gesellschaft, die von diesen Schicksalen geprägt ist, gibt es dringenden Handlungsbedarf diese Thematiken zu enttabuisieren und im Bildungsprogramm unserer Kinder solider zu verankern. (Cecilia Thurner, Leserkommentar, derStandard.at, 24.6.2014)