Wien - Die 1997 eingeleitete Liberalisierung der Postmärkte in der EU ist aus Sicht der Arbeiterkammer mehr Fluch als Segen. Bei der heimischen Post sei der Arbeitsdruck massiv gestiegen und gleichzeitig die Zahl der Beschäftigten gesunken. Zudem nehme die Scheinselbstständigkeit bei Zustellern zu. AK-Präsident Rudolf Kaske spricht vom "Akkordlohn durch die Hintertür", er fordert einen einheitlichen KV.

Bei der teilstaatlichen, mittlerweile börsennotierten Post AG hätten im Jahre 1998 noch knapp 35.000 Menschen gearbeitet, nunmehr seien es 19.800, sagte Post-Gewerkschafter Helmut Köstinger am Mittwoch bei einer Pressekonferenz. Seit der Einführung des neuen (schlechteren) Kollektivvertrags 2009 verdienten rund 4.000 der 8.300 Paket- und Briefzusteller bei der Post 1.390 Euro brutto im Monat. Wegen der gestiegenen Belastung - "die Volumina haben sich verdoppelt, an starken Tagen wird eine Tonne und mehr zugestellt" - sei die Personalfluktuation groß. "In bestimmten Bereichen verlassen fünf von zehn Mitarbeitern das Unternehmen wieder."

Zweiklassengesellschaft

Hinzu komme die Konkurrenz durch die Post-Werbemittelverteiltochter Feibra. Diese zahle "Scheinselbstständigen" ein Stückgeld von 70 bis 90 Cent je Zustellung, was umgerechnet rund fünf Euro pro Stunde ergebe. Wieviele Personen für Feibra tätig sind, darüber gibt es laut AK keine Erhebungen. Köstinger jedenfalls sieht die Gefahr einer Zweiklassengesellschaft. Die alternative Zustellung unterliege lediglich in sieben EU-Staaten einem KV.

Noch dramatischer sei die Situation bei der Paketzustellung, wo die Post AG im Gegensatz zum Briefbereich mit Konkurrenz zu kämpfen hat. Im Geschäftskundensegment kommt die Post laut Köstinger lediglich auf einen Marktanteil von 20 Prozent, den Großteil erledigen internationale Konzerne wie UPS oder DHL. Private Pakete würden zu 80 Prozent von der Post AG zugestellt, Subunternehmen würden vom teilstaatlichen Unternehmen hier nur mehr zu Spitzenzeiten (Weihnachten) angeheuert.

Ganz anders die privaten, weltweit tätigen Konzerne. Nicht nur gebe es im Paketdienst in Österreich sechs verschiedene Kollektivverträge, sondern habe auch die Zahl der Subunternehmer stark zugenommen. Vor allem im ländlichen Bereich zahle es sich für diese nicht aus, selbst zuzustellen, also beauftragten sie Subfirmen, die wiederum zahlreiche Ein-Personen-Unternehmen einsetzten.

AK für einheitlichen KV

Für die AK ist klar: Ein einheitlicher KV muss her und der Arbeitnehmerbegriff auch auf Scheinselbstständige, die de facto von einem Auftraggeber abhängig sind, ausdehnt werden. Ob da nicht den Postlern eine weitere Verschlechterung dräut? "Wir fürchten uns vor gar nichts. Eine weitere Lohnabsenkung ist gar nicht möglich", so Köstinger. 2009, bei der Einführung des neuen KV, "haben wir den KV für Kleintransporter genommen". Über einen Branchen-KV spreche man mit der Wirtschaftskammer (WKÖ) schon seit zehn Jahren, bisher erfolglos.

AK-Präsident Kaske hat noch weitere Forderungen im Paket: Die Regierung müsse endlich das Lohn- und Sozialdumpinggesetz auf den Weg bringen. Dass derzeit nicht verhandelt werde, könnte "anderen politischen Kräften - Stichwort Wirtschaftskammerwahlen" zuschulden sein, so Kaske zur APA. Die Arbeiterkammer urgiert u. a. höhere Strafen, wenn Unternehmen Lohnunterlagen nicht bereithalten. Derzeit drohe einem Unternehmern, wenn er fünf Arbeitnehmern zu wenig bezahlt, eine Strafe von 10.000 bis 100.000 Euro.

Wenn die Lohnunterlagen aber "rein zufällig" nicht auffindbar sind, liege der Strafrahmen bei 500 bis 5.000 Euro. Weiters sollten bei der Bestrafung von Lohndumping alle Lohnbestandteile miteinbezogen werden und der Erstauftraggeber zur Verantwortung gezogen werden, wenn es um die Bezahlung von Sozialversicherungsbeiträgen oder die Einhaltung arbeitsrechtlicher Vorschriften geht. Bei der Post ist Kaske strikt gegen eine weitere Privatisierung (der Staat hält über die ÖIAG 52,9 Prozent), die 1.650 Geschäftsstellen müssten unbedingt erhalten bleiben, die Postpartner brächten nicht dieselbe Qualität. (APA, 25.6.2014)