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Wegen des Ukraine- Konflikts wurde auch Moldau für Politiker aus der EU und Russland plötzlich wichtig. Kommissionspräsident Barroso (hier mit Premier Iurie Leanca) versprach Wirtschaftshilfe.

Foto: EPA/DUMITRU DORU

Der 27. Juni gilt als Tag der Entscheidung. Denn dann wird das Assoziierungs- und Freihandels-Abkommen mit der EU unterschrieben und das wiederum erinnert an die Ereignisse die Ukraine im Vorjahr, wo der Streit über das EU-Abkommen in dem bekannten schweren Konflikt mündete. Russland hat in Anbetracht des EU-Abkommens bereits seit vergangenen August die Einfuhr des moldauischen Weins gestoppt, was für die moldauische Wirtschaft ein herber Schlag ist. Nun befürchten viele in Chisinau, dass Russland Moldau nun auch mit einem Bann des Apfelimports strafen wird.

Der stellvertretende russische Vize-Premier Dmitri Olegowitsch Rogosin hat die Unterzeichnung des EU-Abkommens bereits als Verstoß gegen die Neutralitätsklausel verurteilt und mit "einem Umdenken bei den wirtschaftlichen Beziehungen mit Moldau" gedroht. Denn Russland argumentiert, dass durch den offenen Handel zwischen Moldau und der EU, billige EU-Produkte eingeführt werden könnten, die dann weiter mit gefälschten Herkunftsbezeichnungen nach Russland gelangen könnten und unfaire Konkurrenz darstellen könnten. Andere meinen, die Waren aus der EU wären bloß eine Ausrede, Russland wolle ganz einfach nicht, dass Staaten in der Nachbarschaft der EU oder der Nato näher rückten.

Eingezwickt

Die Moldauer blicken jedenfalls vor dem 27. Juni mit Sorge nach Osten - und nach Westen. Denn in einigen Fragen ist der kleine Staat, der zwischen Rumänien und der Ukraine „eingezwickt“ ist, durchaus mit der Ukraine zu vergleichen. Auch in Moldau gibt es eine russischsprachige Bevölkerung, auch Moldau ist von den Energielieferungen aus Russland abhängig und auch in Moldau leben viele Bürger, die sich eher bei einer Eurasischen Union aufgehoben fühlen, als in der Nähe der Europäischen Union, die noch nicht mal eine Beitrittsoption geäußert hat. Und in Moldau gibt es eine abtrünnige Region, namens Transnistrien, wo die 14. Russische Armee stationiert ist.

Als größtes mögliches innenpolitisches Konfliktpotenzial wird aber zurzeit die Politik der Minderheit der Gagausen angesehen. Der Başkan, also der Führer der Gagausen, Mihail Formuzal sucht eine nähere Anbindung an Russland. Die Gagausen sind ein mehrheitlich orthodoxes Turkvolk. Am 2. Februar haben sie sich bereits in einem Referendum mit 98,9 Prozent der Stimmen für eine Unabhängigkeit der Region von Moldau ausgesprochen, 97,2 Prozent votierten gegen eine Annäherung an die EU. Das Zündeln hat also bereits begonnen.

Manche Analysten in Chisinau meinen, dass der Konflikt zwischen Moldauern und Gagausiern weiter „ethnisch aufgeladen“ werden könnte. Nun hat auch die moldauische Regierung reagiert und will ein wenig mehr in die Autonome Region investieren. Doch auch Russland streckt seine Hand aus. So wurde Gagausien etwa vom Weinimport-Stopp ausgenommen. Die autonome Region liegt zudem an der ukrainischen Grenze. Genau dort wo ein politisches Gebilde verortet wird, über das zur Zeit alle in Chisinau reden.

Es trägt den Namen „Neurussland“. Gemeint ist der Zusammenschluss jener russischsprachigen Gebiete im Südosten der Ukraine nördlich der Krim bis Odessa, also bis an die Grenze zu Moldau: Ein Gürtel, der die Verbindung zu Transnistrien schafft. Der russische Präsident Putin brachte in einer TV-Sprechstunde den Begriff „Neurussland“ ins Spiel und spielte darauf an, dass diese Region früher von einem Generalgouverneur des russischen Zaren verwaltet worden war. In Chisinau hat man im Hinblick auf „Neurussland“ Anfang Mai mit großer Sorge nach Odessa geschaut, als es dort zu Zusammenstößen zwischen proukrainischen und prorussischen Kräften kam. Seitdem geistert das Gespenst „Neurussland“ noch heftiger herum.

Nur eine Idee

„Wenn die Region um Odessa zu so einem Neurussland dazukommen würde, dann könnte sich die russische Armee in Transnistrien einmischen“, meint etwa ein Diplomat, der nicht genannt werden möchte. „Und dann muss die moldauische Armee an die Grenze gehen und dann ist Transnistrien als Reaktion sofort bei Neurussland dabei“, so der Experte. Bislang ist Russland noch weit entfernt von der moldauischen Grenze. Und Neurussland ist bisher nur eine Idee. Aber es gibt diese Angst, dass Russland auch „einen Fuß nach Chisinau“ setzen könnte.

In Tiraspol, der Hauptstadt von Transnistrien, hat man bereits auf den Konflikt in der Ukraine reagiert. Eine Kaserne der russischen Armee wird ausgebaut, sowie auch der Flughafen, damit man auch in der Nacht landen kann. Etwa 1200 russische Soldaten sollen sich derzeit in Transnistrien befinden. In Chisinau fürchtet man, dass es mehr werden könnten. „Wenn Neurussland entsteht, dann gibt es hier einen Krieg“, prognostiziert auch ein Moldauer, der in Tiraspol geboren ist und in Chisinau lebt. „Die wollen uns jedenfalls Angst machen.“ Auch er will seinen Namen nicht nennen.

Für die Moldauer würde ein Konflikt mit Russland auch aus sozialen und wirtschaftlichen Gründen eine Katastrophe bedeuten. Mindestens 200.000 Moldauer arbeiten in Russland, sehr viele etwa als Busfahrer in Moskau. Sie haben Angst, dass sie durch eine Verschlechterung der Beziehungen nach Hause geschickt werden könnten. Ein paar Leute sei dies bereits passiert, heißt es in Chisinau.

Wahlen im November

Ein weiteres Datum vor dem die Moldauer Angst haben, ist der 28. November. Denn dann werden Parlamentswahlen abgehalten, die als Richtungswahlen zwischen einer weiteren Anbindung an die EU oder einer Anbindung an Russland gelten und dadurch viel Konfliktpotenzial bergen. Sie könnten zu einem „point of no return“ führen. Seit 2009 gibt es zwar eine proeuropäische Regierung, doch die Mehrheiten sind alles andere als gesichert.

Deshalb gibt es zur Zeit auch keine normalen politischen Parteien, sondern bloß „geopolitische“ Parteien: Parteien der West- und der Ostausrichtung. Themen wie etwa die Korruption, die in der prowestlichen Regierung genauso verankert ist wie früher unter den Kommunisten, gehen da im Wahlkampf unter.

„Wenn es 50:50 zwischen Westen und Osten ausgeht, dann wird es gefährlich“, sagt der Diplomat zum Standard. Eindeutig prorussisch sind die Sozialisten, während die Demokraten auf der anderen Seite am liebsten alle Verbindungen nach Russland abbrechen wollen würden und ganz klar in Richtung EU orientiert sind. Bei den Kommunisten gibt es wiederum zwei Flügel. Die Idee des Beitritts zu einer Eurasischen Union stößt aber auch bei ihnen nicht auf ungeteilte Liebe.

Diaspora

Es ist andererseits anzunehmen, dass jene Leute, die in Russland leben und arbeiten eher für die Parteien der Ostausrichtung stimmen werden. Weil die Moldauer seit April diesen Jahres kein Schengen-Visum mehr brauchen ist andererseits auch damit zu rechnen, dass viele diesmal in der Diaspora in der EU wählen werden, weil sie ja legal (zumindest offiziell als Tourist) dort sind.

Aber auch neue Gesichter sind bereits im Wahlkampf aufgetaucht. In der Hauptstadt Chisinau etwa kleben überall Plakate eines smart wirkenden Mannes mit dem klingenden Namen Renato Usati. Usati ist dagegen, dass „Moldau mit der EU ins Bett geht“, also prorussisch. Er dürfte angesichts der Werbeflächen ziemlich viel Geld haben.

In Moldau gibt es aber auch einen „rechten Rand“: Die Nationalisten, die einen Zusammenschluss mit Rumänien propagieren, werden auf etwa 15 Prozent der Bevölkerung geschätzt. Als kontraproduktiv werden in diesem Umfeld auch Einmischungen des rumänischen Präsidenten Traian Basescu gesehen. Er hat in den vergangenen Jahren, ähnlich wie Orban für die Ungarn in Rumänien, nicht nur dafür gesorgt, dass Moldauer leichter rumänische Pässe bekommen, er spricht auch von Moldau als einem „zweiten rumänischen Staat“, was wiederum Ängste in der russischsprachigen Bevölkerung und wohl auch in Transnistrien weckt.

Landessprachen

Seit kurzem hat zudem das moldauische Verfassungsgericht geurteilt, dass auch Rumänisch und nicht nur Moldauisch als Landessprache gilt. Von manchen wird dies als nationalistische Offensive gewertet. Denn Moldau ist ein multiethnischer Staat. „Wir haben viele gemischte Familien. Wir können gar keine Ukrainer und Russen hassen“, beschreibt dies ein Moldauer. Tatsächlich leben neben Moldauern und Russen, auch Ukrainer, Bulgaren und Juden in dem Staat. Vielsprachigkeit ist deshalb wichtig. Manche beschweren sich aber nun, dass das Russische zurückgedrängt würde. So sind die Nachrichten auf Russisch jetzt von sieben am Abend auf neun Uhr verlegt worden. Doch in internationalen Dokumenten wird weiterhin auch alles auf Russisch übersetzt.

Das russische Außenministerium sendet indes Warnsignale aus. Es hat das EU-Abkommen als „Test für die Beziehungen“ zwischen Russland und Moldau bezeichnet. Auch der russische Vize-Minister Gregori Karasin kam nach Chisinau angereist. Mittlerweile ist die moldauische Hauptstadt geradezu zu seinem Mekka der Politiker geworden. Auch der Westen hat plötzlich das kleine eingequetschte Land im Osten Europas entdeckt. Ein EU-Außenminister gibt nun dem nächsten die Klinke in die Hand.

Finanzhilfe

EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso versprach der Regierung rund 160 Millionen Euro Finanzhilfe. Der Markt für den moldauischen Wein wurde bereits geöffnet. Trotzdem gelten für Moldau die Bedingungen der „Östlichen Partnerschaft“ mit der EU und das bedeutet wie auch im Fall der Ukraine keine „Klarheit über die Zukunft“ - außer vielleicht, dass mittelfristig „alles möglich ist, außer die EU-Mitgliedschaft“, wie ein Diplomat meint. Das deutsche Außenministerium hat abgewunken, dass es mehr werden könnte. Es gäbe in der EU keine "mehrheitsfähigen Bestrebungen", über eine Beitrittsperspektive von Moldau zu beraten, heißt es dort. „Es ist nichts sicher und es ist nichts klar und es kann alles sehr schnell wieder ganz anders sein“, beschreibt der moldauische Diplomat die Situation in seinem Land.  (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 26.6.2014)