Rolf Tophoven diskutierte in Wien über islamistischen Terror.

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Bilder von Bombenattentaten und Hinrichtungen im Irak gingen in den vergangenen Tagen um die Welt. Al-Kaida prägte das Feindbild, viele Terrorgruppen agieren damit jetzt selbstständig.

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STANDARD: Wie beurteilen Sie die Medienberichte über die jüngsten Terroranschläge?

Tophoven: Die Berichte über die Isis-Gruppe, deren Herkunft und Motive, das ist absolut korrekt. Man muss aber in der Art des internationalen Krisenmanagement differenzieren - die Amerikaner haben letzten Endes großen Anteil an der derzeitigen Misere. Man hat im Irak im Grunde aufs falsche Pferd gesetzt. Dramatisch ist, dass aus einer kleinen Terrorgruppe eine kleine Militärmacht entstanden ist. Der Krieg nähert sich Israel und der jordanischen Grenze.

STANDARD: Ist der Kampf, wie ihn Isis im Irak betreibt, noch Terrorismus oder schon Kriegsführung?

Tophoven: Es ist das klassische Modell, wo aus ursprünglichen Suizidformationen eine guerillamäßige Gruppe mit militärischen Zügen entstanden ist. Man kann durchaus von einer asymmetrischen Kriegsführung sprechen. Nicht zuletzt wegen der Eroberung von Helikoptern, Panzerfahrzeugen und so weiter. Das haben die jetzt alles.

STANDARD: Plädieren Sie denn dafür, dass Medien Exekutionsfotos, wie sie von Isis selbst im Internet verbreitet wurden, zurückhalten, um nicht den Terroristen in die Hände zu spielen?

Tophoven: Klar wollen Terroristen, dass diese Bilder verbreitet werden, dadurch demonstrieren sie Macht. Es ist ein zwar hehrer Gedanke, aber wenn Sie sie nicht verbreiten, macht das ein anderer Mitbewerber. Die Bilder laufen überall, auf facebook, Twitter oder Al-Jazeera. Das können Sie heute nicht mehr verhindern. Das Schwierige ist die Analyse.

STANDARD: Wie stark beeinflussen die Drohneneinsätze der US-Amerikaner, bei denen bisher tausende Menschen starben, die Bevölkerung in ihrer Zustimmung für islamistische Gruppen?

Tophoven: Für viele Menschen in Pakistan und Afghanistan ist Osama Bin Laden schlichtweg ein Held, vor allem für junge. Ich schließe nicht aus, dass im Zuge des "Kampfes gegen den Terror" neue Terroristen geschaffen werden.

STANDARD: Österreich gilt unter Experten als Rückzugsgebiet für radikale Muslime, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werden. Es mag zwar kein Aktionsland sein, aber auch der Gedanke, "nur" ein Vorbereitungsland zu sein, ist kein schöner.

Tophoven: Österreich hat durch die Nähe zu Südosteuropa und Tschetschenien eine andere Ausgangslage. Da gibt es Clanstrukturen und organisierte Kriminalität, die machen die Fehden unter sich aus, es ist kein Terror gegen die österreichische Regierung. Ich bleibe dabei, Österreich ist ein Warteraum. Plötzlich kippt ein junger Mann ideologisch um. Gibt Frauen nicht mehr die Hand, und alles ist vorbei. Diese Beispiele kennen wir auch aus Deutschland.

STANDARD: Aktuell wird viel über die Motive junger Konvertiten diskutiert, die sich für die radikale Auslegung des Islam begeistern oder sogar bereit sind im Bürgerkrieg ihr Leben zu riskieren. Warum fühlen sich junge Menschen in Europa davon angezogen?

Tophoven: Mangelnde Integration. Soziale Frustration. Wut auf die Gesellschaft.

STANDARD: Wahhabismus und Salafismus sind sehr strenge Auslegungen des Islam. Was fasziniert junge Menschen, die in liberalen Ländern aufgewachsen sind, an dieser konservativen, apodiktischen Weltanschauung?

Tophoven: Ich sage nur: Die in Deutschland am schnellsten wachsende Jihadistenbewegung ist der Salafismus.

STANDARD: Ist Salafismus für Sie gleichbedeutend mit dem Jihadismus, dem militärischen Kampf?

Tophoven: Salafismus hat drei Strukturen: einmal die Urgemeinde. Die sind ganz friedlich und wollen leben wie zu Mohammeds Zeiten. Dann haben wir den politisch motivierten Salafismus, der noch nicht Terrorismus ist. Der ist zwar auchnoch nicht aktionistisch, will aber schon auf gesellschaftspolitischer Ebene eingreifen. Und dann haben wir am Schluss die Jihadisten, die Gewaltaktionen befürworten und durchführen.

STANDARD: In welcher Stufe ordnen Sie die Bewegung rund um den populären deutschen Salafisten-Prediger Pierre Vogel ein, der seine Ansichten vor allem über Youtube verbreitet?

Tophoven: Vogel ist sehr clever. Er ruft nicht direkt zum Kampf auf, aber er ist definitiv auf der zweiten Stufe. Das Entscheidende ist, Vogel und die anderen Salafisten-Prediger in Deutschland, holen die jungen Leute da ab, wo sie stehen. Sie sprechen ihre Sprache und sagen: "Komm zu uns!" Das ist das Problem.

STANDARD: Sie haben den Satz gesagt: "Terrorismus lässt sich heute nicht mehr mit Panzern bekämpfen." Mit welchen Mitteln dann?

Tophoven: Es ist eine Form von Urban Guerilla. Das sind kleine und kleinste Gruppe, zum Teil auch Einzeltäter. Die platzieren ihnen eine Bombe in der Abflughalle oder am Banhnhof. Für diese Form braucht man Special Forces wie die Kobra, GSG) oder Navy Seals. Intelligence ist das Entscheidende. Die Israelis haben in jeder Mossad-Einheit arabischsprechende Kommandeure. Small but effective. Die Isis wiederum könnte man wohl gut mit einer Luftwaffe-Panzer-Kombination bekämpfen, wenn sie auf Bagdad vorrücken.

STANDARD: Das Ziel der verschiedenen islamistischer Gruppen, einen Gottesstaat zu etablieren, ist diffuser, als es etwa die Forderungen der in den 1970-er Jahren waren, über die Sie viel geschrieben haben.

Tophoven: Das stimmt. Aber die Faszination liegt darin, dass Al-Kaida erst nach 9/11 das gemeinsame Feindbild formuliert hat. Nach dem Vorbild haben sich alle anderen Gruppen verselbstständigt. Sie brauchen Al-Kaida heute nicht mehr, aber ihre Idee des Feindbilds für die Zusammengehörigkeit. So wie früher Karl Marx die Idee des Kommunismus vorgegeben hat. Bin Laden hat mal gesagt: "Das Öl ist ein Geschenk Allahs. Aber wem gehört das Öl? Den Ungläubigen." Ist das nicht die perfekte Revolutionsstrategie?

STANDARD: Das geht auch gegen Saudi-Arabien. Aber Saudi-Arabien gilt selbst als Finanzierer vieler dieser Terrornetzwerke.

Tophoven: Das ist richtig. Die Milliardäre kaufen sich durch Social Welfare Operation vom Terrorismus frei. Doch irgendwann wird das da auch explodieren. Es gab ja auch schon Anschläge im saudischen Königshaus.

STANDARD:  Was ist für die verschiedenen Gruppierungen das einende, das gemeinsame Feindbild?

Tophoven: Das ist von Al-Kaida implementiert: einmal als der ferne Feind die USA, später Israel. Und der nahe Feind, die prowestlichen arabischen Regierungen.

STANDARD:  Der Westen als genereller Feind - wo liegt der Ursprung dafür?

Tophoven: Der Islam, die Scharia, muss durchgesetzt werden. Das ist die globalisierte Weltsicht, wie die Isis das jetzt anwendet. Sie wollen ja ein Kalifat wie früher. Sie orientieren sich an der Urzeit.

STANDARD:  Diese Zuwendung zum dogmatischen Islam als politische Grundlage war doch vor wenigen Jahren noch nicht so ausgeprägt.

Tophoven: Osama Bin Laden hat genau für diese Dynamik die Strukturen definiert. Indem er die Botschaft postuliert hat, es sei die Pflicht eines jeden guten Muslims, den heiligen Krieg zu führen. Also im Grunde gegen uns alle. Wir sind in diesem Weltbild alle irgendwie ungläubig.

STANDARD: Fehlt die Phase der Aufklärung, wie Europa sie durchlebt hat?

Tophoven: Ja, das hat die arabische Welt  nicht gehabt. Sie ist in ihrem Denken direkt vom Mittelalter in die technologische Welt des 21. Jahrhunderts gefallen. Das ist auch der Frust, den viele haben. Gleichzeitig bedienen sie sich der Technologien der Moderne. Die Einsatzbefehle für 9/11 lagen unabgeschickt in einem Email-Postfach - die Attentäter haben sich dort mit dem Passwort eingeloggt. Recht simpel, oder? (Julia Herrnböck, DER STANDARD, 26.6.2014)