Am 28. Juni 1914 wurde der österreichische Thronfolger Franz Ferdinand von einem serbischen Fanatiker in Sarajevo erschossen. Dieses Datum gilt als Auftakt zum Ersten Weltkrieg. Franz Ferdinand saß in einem Automobil der Marke Gräf und Stift, genauer in einem 28/32 HP Doppelphaeton.
Mit dem gleichen Auto war bereits sieben Jahre davor ein anderer Österreicher in Sarajevo. Er hieß Adolf Schmal und nannte sich Filius, wie damals oft üblich zur Unterscheidung vom gleichnamigen Vater.
Er war schon zu diesem Zeitpunkt eine schillernde Figur, hatte bereits einen Olympiasieg im Bahnradsport in der Tasche und viele Bücher über das Automobil, dessen Technik und das Reisen damit geschrieben.
Vielzahl an Mänteln
Filius bereiste also 1907 das damalige Österreich, das im Süd osten bis an die serbische Grenze reichte, gemeinsam mit fünf weiteren Personen und einer Vielzahl an Mänteln, die man überein ander schlug, wenn das Wetter schlecht wurde.
Sein Reisebericht Eine Automobil-Reise durch Bosnien, die Hercegovina und Dalmatien wurde soeben in kommentierter Form neu aufgelegt (Löcker, Hrsg. Elmar Samsinger).
Adolf Schmal Filius legte in zwölf Tagen 2137,9 Kilometer zurück, was eine echte Herausforderung gewesen sein muss, nicht nur automobiltechnisch, sondern auch aufgrund der damaligen Straßen und Reifen.
Leute mit Turban und Fes
Auch die Angst vor unwägbaren Risiken war zu Beginn ein Begleiter: "Wie gefährlich muss es doch dort unten sein, wo die Leute mit Turban und Fes und mit weiten Kniehosen und den Messern im Gürtel herum gehen."
Filius erlebte schon ab der kroatisch-bosnischen Grenze schlagartig ein ziemlich orientalisch anmutendes Land, während heute im Wesentlichen nur die vielen Moscheen und Minarette an den muslimischen Einfluss erinnern – manchmal ein überraschender Anblick in einer Landschaft, die über weite Strecken ans nieder österreichische Voralpenland und die schroff hügelige Steiermark erinnert.
Aneinander gefädelte Ortschaften
Schnell wird klar: Ohne sich mit den Grundzügen der politischen Verhältnisse zu befassen, wird man in diesem Land nichts verstehen.
Da gab es diesen unseligen Balkankrieg nach dem Zusammenbruch Jugoslawiens, in dem alte Konflikte zwischen den drei ethnisch-religiösen Gruppen der Kroaten (katholisch), Serben (serbisch-orthodox) und Bosnier (muslimisch) aufs Fürchterlichste eskalierten.
Welche hohe Bedeutung schon eine Minimalausstattung an Verkehrswegen früher hatte – und heute erst recht –, zeigt sich zwischen Busovaca und Sarajevo. Hier reiht sich eine Ortschaft an die andere, ohne Unterbrechung über 50 km.
Verwundetes Land
Der Balkankrieg ist noch immer allgegenwärtig. Schwer vorstellbar, dass in dieser Wirklichkeit Wunden überhaupt verheilen. Manchmal mehr, manchmal weniger, manchmal ganz dramatisch stehen die zerschossenen Häuser übers ganze Land verteilt, als wäre der Krieg gerade erst gestern zu Ende gegangen und nicht vor 20 Jahren. Unvorstellbar, mit wie vielen Maschinengewehren wie viel Munition in nachbarschaftlicher Zwietracht hier verschossen wurde. Dieses Land ist so verwundet.
Pulsierende Stadt
Die Hauptstadt Sarajevo, einst eine pulsierende Stadt der kulturellen Vielfalt, erholt sich langsam von der Katastrophe.
Die Lebensqualität ist hoch, das Preisniveau niedrig. Die zahlreichen Mitarbeiter internationaler politischer In stitutionen und NGOs, die hier nach wie vor den Frieden bewachen, stellen mit ihren westlichen Gehältern einen bedeutenden Wirtschaftsfaktor dar.
Nächtigung im Kurbad
Immerhin, Filius erlebte die Situation ähnlich: "Rein orientalischen Charakter besitzt Sarajevo nur im so genannten Türkenviertel, sonst macht die Stadt mit ihren modernen Bauten den Eindruck einer europäischen Anlage.“
Wie der Thronfolger nach ihm nächtigte er aber in Ilidze, dem berühmten Kurbad, damals noch 10 km außerhalb der Stadt gelegen, heute an deren westlichem Rand. (Rudolf Skarics, DER STANDARD, 27.6.2014)