Chemiker Stefan Salentinig: "Eine Verschulung der Universitäten halte ich für kontraproduktiv."

Foto: privat

"Ich bin über die Fotografie zur Chemie gekommen", sagt Stefan Salentinig. Der 1981 in Rangersdorf im Kärntner Mölltal Geborene hat schon während der Gymnasialzeit im Keller des Elternhauses Schwarz-Weiß-Fotos entwickelt. Irgendwann wollte er dann wissen, wie genau die chemischen Prozesse ein Bild hervorzaubern.

Das Chemiestudium absolvierte er in Graz, schon für die Doktorarbeit führte ihn seine Forschung ins Ausland, nach Lausanne in die Schweiz. "Ich habe mich auf den Lebensmittelbereich spezialisiert und über Fettverdauung geforscht", erzählt er. Es sei schwierig, in Österreich große Firmen zu finden, die Grundlagenforschung betreiben oder finanzieren.

Herausforderungen

Danach habe er im Bereich Projektmanagement wieder in Österreich gearbeitet, aber "Herausforderungen in wechselndem Umfeld" hätten ihn schon immer gereizt. So habe er zum Beispiel am Grazer Sprachinstitut Arabisch gelernt, "um diese Kultur besser und vorurteilsfrei" zu verstehen. Danach ist Salentinig einige Wochen allein durch den Jemen gereist, "was traumhaft schön und landschaftlich sehr empfehlenswert ist, wenn die politische Lage dort wieder stabiler ist".

Nach Australien, wo Salentinig derzeit an der Monash-Universität in Melbourne Assistenzprofessor ist, war es dann gleichsam nur mehr ein Katzensprung. "Ich war davor auf Urlaub in Australien", sagt er, "und hatte da schon Kontakte." Als bei der Commonwealth Scientific and Industrial Research Organisation (CSIRO) in Newcastle nahe Sydney ein Job ausgeschrieben war, habe er sich kurzerhand beworben. Einen Monat später, im Dezember 2011, war die Entscheidung getroffen: "Die haben den gesamten Transfer für mich und meine Lebensgefährtin bezahlt, zudem die erste Monatsmiete übernommen."

Ausgezeichnete Arbeitssituation

Die Arbeit sei spannend, die Lage traumhaft gewesen: "Wir hatten eine Wohnung direkt am Strand." Trotzdem: Schon 18 Monate später folgte der nächste Wechsel nach Melbourne, das Angebot der Universität sei einfach zu attraktiv gewesen. Auch seine Lebensgefährtin habe inzwischen an der Uni einen Job. "In der Stadt ist immer etwas los", schwärmt er, "Food- und Musikfestivals, tolle Bars und Kaffeehäuser – die Work-Life-Balance stimmt."

Die Arbeitssituation für seine sehr spezialisierte Forschung sei ausgezeichnet: "Ich arbeite an der zweitgrößten Uni Australiens und forsche in Kombination dazu an der Australian Nuclear Science and Technology Organisation in Lucas Heights, wo ein Teilchenbeschleuniger zur Verfügung steht. Das sind Möglichkeiten, die gibt es in Österreich so nicht."

An einem Strang

"Die Australier ziehen an einem Strang, die ganze Forschungskultur ist hier eine andere", sagt Salentinig. Die Forschungsarbeit sei in der Öffentlichkeit viel präsenter, es werde auch mehr Medienarbeit gemacht. "Der Stellenwert von Forschung ist in Österreich nicht sehr hoch. Ich wurde während meines Studiums ernsthaft immer wieder gefragt, warum ich überhaupt Chemie studiere, wofür das gut sei. Grundlagenforschung kann eben nicht direkt umgesetzt werden, trotzdem führt sie zum Beispiel in der Physik zur Lasertechnik, von der dann alle profitieren."

In Australien gebe es sehr hohe Studiengebühren, "über 50 Prozent der Finanzierung an unserer Uni speisen sich aus den Studiengebühren", sagt er. An seinem Institut allein stünden etwa 70 Millionen australische Dollar (mehr als 48 Millionen Euro) für die nächsten fünf Jahre zur Verfügung. "Die Forschung ist ein Wirtschaftsfaktor", sagt Salentinig. "Das führt aber auch dazu, dass Leute in meinem Alter noch ihre Schulden aus dem Studium abzahlen." Die existierende Beschränkung der maximalen Studiengebühren in Australien sei derzeit in Diskussion, "einige Unis reden schon von Verdopplung der Gebühren".

Gute Chancen für Österreicher

Die Qualität sei aber nicht unbedingt besser, wenn man zahlt, schränkt er ein. Österreichische Absolventen hätten im Ausland gute Chancen: "Im Global Competitiveness Report 2013/2014 des Weltwirtschaftsforums ist Österreich insgesamt Nummer 16. Als Vorschläge werden Flexibilität und eine weitere Verbesserung des bereits exzellenten Bildungssystems gefordert", ergänzt er. Er unterstreicht den Unterschied zwischen "Bildung" und "Ausbildung". Bildung im Sinne einer kritischen Auseinandersetzung mit Themen, wie er sie in Österreich während seines Studiums kennnengelernt habe, fordere Flexibilität, Kreativität und die Kompetenz, Probleme zu lösen. "Eine Verschulung der Universitäten halte ich für kontraproduktiv."

Den sogenannten Braindrain hält er für grundsätzlich positiv für die Wissenschaft und damit auch für die Allgemeinheit: "Jedes Land hat seine Forschungsschwerpunkte. Wenn talentierte Leute dorthin gehen, wo ihre Kompetenzen benötigt und gefördert werden, leisten sie auch einen tollen Beitrag zur Wissenserweiterung." Zurück nach Europa zu kommen kann er sich längerfristig vorstellen: "Es muss aber nicht Österreich sein. Alles, was zumindest in der gleichen Zeitzone liegt, ist in Ordnung." (Tanja Paar, derStandard.at, 26.6.2014)