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Familienbild mit Soldat. Zu sehen war dieses Foto anlässlich der Ausstellung "Land im Krieg. Zwischen Schützengraben und Heimatfront. 1914-1918" im Landesmuseum Burgenland.

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Feldpostkarten wie diese zeigten mitunter die Sehnsucht nach den daheimgebliebenen Frauen.

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"Es ist schon ein Erfolg, dass der Frauen- und Geschlechtergeschichte ein eigenes Kapitel gewidmet wurde", sagt Christa Hämmerle, Historikerin am Institut für Geschichte der Universität Wien. Sie forscht seit den 90er-Jahren zu den Rollen und Erfahrungen von Frauen im Kriegsgeschehen und wurde von den Initiatoren des Papiers eingeladen, gemeinsam mit ihrer Kollegin Gabriella Hauch am "Grundlagenpapier österreichischer WissenschafterInnen aus Anlass des Gedenkens des Ausbruchs des Ersten Weltkrieges" mitzuarbeiten. Es wurde rechtzeitig vor dem Gedenkjahr veröffentlicht.

Initiiert haben das Papier das Bundeskanzleramt und mehrere Ministerien, um, wie Hämmerle es ausdrückt, "Grundlagen des heutigen Forschungsstandes transparent zu machen". Es handle sich dabei aber nicht um ein offizielles Statement der Bundesregierung. Wichtig ist ihr, dass "Genderperspektiven in allen Themen eine Rolle spielen". Es könne nicht dabei bleiben, "die Frauen- und Geschlechtergeschichte in einem einzigen Kapitel abzuhandeln, und damit ist es erledigt".

Mobilisierung aller Ressourcen

Inwiefern hilft die Betrachtung der Geschlechterverhältnisse dabei, den Ersten Weltkrieg generell besser zu verstehen? "Dieser Krieg wurde unter Mobilisierung aller gesellschaftlichen Ressourcen geführt", erklärt Hämmerle. Das heißt, dass auch Frauen und Kinder in verschiedensten Zusammenhängen ins Kriegsgeschehen eingebunden und davon betroffen waren.

Die Verschränkung von "Front" und "Heimatfront" erst habe die moderne Kriegsführung ermöglicht. Während Männer als Soldaten dienten, engagierten sich viele Frauen in der Kriegsfürsorge und übernahmen Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, etwa als Schaffnerin oder Straßenkehrerin, sowie in der Rüstungsindustrie.

Im Laufe des Krieges wurden Zehntausende von ihnen "auch als Kriegskrankenschwestern eingesetzt", auch direkt hinter der Front. "In Deutschland waren das etwa 90.000 Frauen als Teil des offiziellen Sanitätsapparates, für Österreich-Ungarn gibt es bislang keine genauen Zahlen", sagt Hämmerle.

Mit Gewalt konfrontiert

Die Sanitätsakten seien teilweise ungeordnet oder in die ehemaligen Kronländer abgegeben worden, sie selbst habe erst einen "kleinen Beitrag" zu Gewalterfahrungen von Krankenschwestern verfasst. ("Heimat/Front. Geschlechtergeschichte/n des Ersten Weltkrieges in Österreich Ungarn", Böhlau 2014, dieStandard.at berichtete). "Die Auflösung der Grenzen zwischen den Kampffronten und dem Hinterland bedrohte viele Frauen und Kinder unmittelbar", schreiben die Autorinnen im Grundlagenpapier. "Sie waren auch mit Gewalt konfrontiert und nicht etwa nur im sicheren Hinterland", so Hämmerle.

In diesem "Volkskrieg" sei es auch zu einer breiten Selbstmobilisierung der Frauen gekommen. "Die Frauenbewegungen haben größtenteils für die Kriegsunterstützung mobilisiert", erzählt Hämmerle. Es habe aber auch kritische Stimmen gegeben: Nur wenige Pazifistinnen aus Österreich und Ungarn hätten im Mai 1915 am Internationalen Frauenfriedenskongress in Den Haag teilgenommen. Dort hatten mehr als 1.100 Delegierte aus zwölf Nationen die sofortige Einstellung der Waffenhandlungen gefordert.

Nach 1918 hierarchisches Geschlechterverhältnis

"Was mich wirklich ärgert, ist der Mythos, dass der Erste Weltkrieg aufgrund des breiten patriotischen Engagements, des Arbeitseinsatzes und der erweiterten Handlungsräume vieler Frauen zum Frauenwahlrecht und zu ihrer Emanzipation geführt habe", sagt Hämmerle. "Das ist ein Grund für mich, mich nochmals in die Debatte einzuschalten." Und: "Das ist eine Kriegsaufwertung."

Die Entwicklung nach 1918 habe mittelfristig zu Faschismus und damit zur Reetablierung "hierarchisch-polarer Geschlechterverhältnisse" geführt. So hätten etwa die Forschungen ihrer Kollegin Birgitta Bader-Zaar gezeigt, dass das Frauenwahlrecht am Beginn der Ersten Republik in Österreich nicht etwa als "verdienter Lohn" für das staatsbürgerliche Engagement der Frauen im Krieg eingeführt wurde, sondern Folge des jahrzehntelangen Kampfes der Frauen dafür war.

"Den Sozialdemokraten erschien es dann nicht opportun, ihr im Wahlprogramm seit längerem formuliertes Versprechen zurückzunehmen", sagt Hämmerle. Das Frauenwahlrecht habe sich vor allem dort durchgesetzt, wo "der Systembruch am deutlichsten war" - wie in Österreich mit dem Ende der Monarchie. In Frankreich und England etwa sei das Frauenwahlrecht nur für manche Gruppen oder überhaupt erst später eingeführt worden.

Positionen öffentlich gemacht

Um Geschlechterpositionen und Kriegserfahrungen von Frauen von der anfänglichen Kriegszustimmung bis zur Katastrophe nachvollziehbar zu machen, veröffentlicht die "Sammlung Frauennachlässe" an der Universität Wien seit dem 28. Juni mehrmals im Monat Auszüge ihres gegenläufigen Gedächtnisspeichers zum Ersten Weltkrieg. Dabei werden Stellen aus Feldpost und Kriegsgefangenen-Korrespondenzen, Frauen- und Mädchentagebüchern und Notizen von Soldaten jeweils an jenem Tag auf der Forschungsplattform "Salon 21" online gestellt, an dem sie vor 100 Jahren geschrieben wurden.

Das Projekt soll über vier Jahre hinweg "zwei- bis dreimal im Monat" Einblick in "Patriotismus und Protest, Hoffnung und Verzweiflung, Hunger, Entbehrung und Trauer, in die in alle Lebensbereiche dringende Katastrophe" gewähren. (Tanja Paar, dieStandard.at, 26.6.2014)