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Aufsager vor der Großen Halle des Volkes: Berichte über Parteiveranstaltungen sieht die Führung in Peking gerne, kritische Journalisten werden dagegen zurückgedrängt.

Foto: Reuters / Kim Kyung-Hoon

Der chinesische Ausdruck "Youchang Xinwen“ bedeutet "bezahlte Nachrichten". Das Schlüsselwort umschreibt die Korruption in der Medienwelt. Journalisten werden von Firmen oder Verbänden für positive Berichte honoriert oder erhalten "Schweigegeld“. In manchen Zeitungen gebe es keine Trennung zwischen redaktionellen Inhalten und Werbung, kritisiert das Amt für Presse, Radio, Film und Fernsehen (SAPPRFT), Chinas oberste Zensurbehörde. Sie erließ neue Verordnungen gegen bestechliche Verlagschefs, nannte konkrete Fälle mit Namen der Journalisten, die eine Schande ihrer Zunft seien, ihren Job verloren, oder als Erpresser verhaftet wurden.

Unter dem Schlagwort der Bekämpfung von Korruption geht es aber der Zensurbehörde nicht nur um "schwarze Schafe" in der Medienbranche: In einem Aufwaschen will sie auch die kritischen und investigativen Journalisten und ihre kleinen Freiräume in den offiziell gelenkten Medien treffen. Die Kontrolleure wollen ihnen einen neuen Maulkorb anlegen.

Ihre Absicht steht in den Zeitungen der Hauptstadt zwischen den Zeilen. In Provinzblättern aber prägt sie die Schlagzeilen, damit alle gleich wissen, woran sie sind. In Südwestchinas Chengdu titelte etwa die Tageszeitung Chengdu Shangbao jüngst: "Verlagsbehörde verbietet: Journalisten dürfen nicht eigenständig kritische Berichte verfassen." Nach ihrem neuen Erlass verlange sie von Zeitungen, Webseiten und anderen Nachrichtenmedien, für eine "gute" Berichterstattung zu sorgen. Das bedeute, dass ihre Mitarbeiter ohne Genehmigung der Redaktionsleitung nicht aus "eigenen Stücken Kritikberichte" verfassen dürften. Sie könnten auch nicht über Probleme oder Ereignisse schreiben, die außerhalb ihrer lokalen und fachlichen Ressortzuständigkeit liegen.

"Nur gegen Missbrauch"

Zensurbehördenleiter Jiang Jianguo wiegelt Kritik erst einmal ab: Die neuen Regeln würden das Recht der Journalisten, Kritik zu üben, nicht einschränken. Sie zielten nur gegen den Missbrauch dieses Rechts. Doch mutige chinesische Journalisten, die mit kritischen Recherchen Missstände enthüllten, fürchten um das bisschen Freiheit, das sie hatten. China drangsalierte auch früher schon seine inzwischen mehr als 250.000 für Print, Agenturen, Radio und Fernsehen mit Presseausweis ausgestatteten Journalisten.

Die Menschenrechtsorganisation Reporter ohne Grenzen wirft Peking vor, "mindestens 32 Journalisten und 73 Blogger wegen ihrer Arbeit in Haft zu halten." China steht in der Liste der Pressefreiheit auf Rang 175 von 180 Ländern.

Die Verbote wiegen schwerer, weil sie Teil der Antikorruptionsbewegung sind, die seit Monaten Funktionäre von Behörden, Partei und Armee disziplinieren soll. Die Pressekampagne startete Peking zuerst gegen die Blogger, um die Meinungsführerschaft der Partei im Internet zurückzugewinnen. Unter dem Slogan "Kampf gegen Gerüchteverbreiter" wurde eine Reihe sogenannter Blogger-Meinungsführer unter Straftatsvorwürfen festgenommen und mit Schuldeingeständnissen als reuevoll auftretende Sünder im TV vorgeführt. Einfachen Bloggern wird mit Strafverfolgung gedroht, falls von ihnen ins Netz gestellte (Falsch-)Nachrichten mehr als 500-mal weitergeleitet werden. Pekings Druck hat für Selbstzensur in der Online-Szene gesorgt.

Auch Anwälte betroffen

Nach den Journalisten trifft es nun auch Chinas Anwälte. Ihre eigene staatstreue Anwaltsvereinigung lässt den von 2009 stammenden Verhaltenskodex und den von 2004 stammenden Strafkodex für Anwälte novellieren. Die derzeit beratenen Änderungen wollen Anwälten verbieten, so wie bisher die Öffentlichkeit über laufende Justizfälle durch Internet und soziale Medien zu informieren. Sie sollen weder Verfahren, Anklageschriften noch Beweise, Dokumente, Gespräche mit Klienten oder ihre Ansichten online verbreiten dürfen. Sonst drohten ihnen Lizenzentzug und Strafe.

Anwälte reagierten empört. Nach dem geplanten Passus 11 dürfen sie auch keine offenen Briefe mehr schreiben, über Unterschriftenlisten protestieren oder in anderer Weise versuchen, die öffentliche Meinung zu mobilisieren. Der bekannte Strafrechtsanwalt Zhou Ze sagte der Wochenzeitung "Nanfang Zhoumo", dass viele Unrechtsurteile nur durch öffentliche Kenntnis und Nachfrage des Falls verhindert werden konnten. Die meisten Anwälte, die die Zeitung befragte, nannten Information der Öffentlichkeit und Online-Transparenz in China besonders wichtig, weil sich die öffentliche Macht nicht an Gesetze hält. Nun erlaube man der Justiz sich wieder einzuigeln und entmündige die Anwälte.

Kritische Strafrechts- und Menschenrechtsanwälte gelten der Partei seit jeher als widerspenstige Förderer einer Zivilgesellschaft, die sie als Herausforderung ihrer Alleinherrschaft ansieht. In China gab es Ende 2013 nach Angaben der Rechtzeitung am Wochenende ("Fazhi Zhoumo") mehr als 250.000 zugelassene Anwälte in über 20.000 Kanzleien. Viele Fachanwälte reagierten geschockt, als die Behörden nun demonstrativ ein Exempel statuierten. Unter dem grotesken Vorwurf der öffentlichen Unruhestiftung nahmen Pekings Behörden den bekannten Strafverteidiger und Menschenrechtsanwalt Pu Zhiqiang zuerst fest und ließen ihn offiziell verhaften, um ihn den Prozess zu machen.

Unangefochtene Herrschaft

Das alles passt ins Kalkül einer Partei, die unangefochten herrschen möchte. Sie will auch besonders ausländische Nichtregierungsorganisationen (NGO) wieder stärker kontrollieren. Wie die Nachrichtenagentur AFP meldete, komme der Beschluss zur Überprüfung der im Land tätigen NGO-Initiativen direkt vom neuen Nationalen Sicherheitsrat unter dem Vorsitz von Parteichef Xi .

Wie groß die Ängste innerhalb der Partei vor NGOs sind, verriet NGO-Forscher Wang Zunkui von Chinas Polizeiuniversität. Mitte Mai warnte er in der Zeitung der Akademie für Sozialwissenschaften (Zhongguo Shihui Kexuebao) unter Nennung von Beispielen vor den Gefahren, die angeblich Chinas Sicherheit von einem “kleinen Teil“ der NGOs drohen würde.

Im Land operierten rund 1000 NGOs mit ausländischem Hintergrund. Hinzu kämen 4000 bis 6000 NGO-Kurzmaßnahmen in 20 Bereichen pro Jahr von der Armutsbekämpfung, Umweltschutz bis zur Erziehung. Mehrere hundert Projekte hätten einen politisch motivierten Hintergrund. Hinter einigen steckten NGOs, die einst beim Umbruch in Osteuropa eine Rolle gespielt haben und nun direkt oder indirekt sich in China betätigten. Sie wollten Einfluss auf den Überbau nehmen, politische Gegner des Systems heranziehen, die Widersprüche des Landes ausnutzen, um China zu schaden, oder um die Nation zu spalten. (Johnny Erling aus Peking, DER STANDARD, 27.6.2014)