Eddie Vedder ist der Sänger von Pearl Jam. Gegen deren Musik gibt es einiges zu sagen, gegen ihr Konzert in der Wiener Stadthalle fast nichts. Es war fast schon unangenehm gut.

Foto: Christian Fischer

Wien - Es hat begonnen, wie es beginnen musste. Ein bisserl zäh. Der Rucksack mit den Vorbehalten gegen Pearl Jam war kaum abgestellt, schon quälte sich die US-Band durch den Opener The Long Road. Das ist einer dieser typischen Pearl-Jam-Songs, in denen sie klingen, als plage sie alle harter Stuhlgang. Ziemlich gebläht, also wenig elegant. Der Fan nennt das eine gefühlvolle Ballade. Aber deshalb ist er ja der Fan oder die Fanin. Ansonsten gilt, dass man Pearl Jam gar nicht genug überschätzen kann.

In der ausverkauften Wiener Stadthalle wurde am Mittwoch schon beim ersten Lied mitgesungen, wurden die Bierbecher geschwenkt und die Hände wie Schilf im Wind bewegt. Gähn. Es war eines dieser Lieder, für die Pearl Jam die Boston der Generation X genannt werden. Kaum aber hatte man es sich drei Lieder lang im eigenen Vorurteil gemütlich eingerichtet, wurde es auf der Bühne ungemütlich. Und zwar im Sinne von: Jetzt reißen wir dieser Bude einmal den Arsch auf.

Schließlich musste die Band aus Seattle während des Soundchecks feststellen - das erzählte Sänger Eddie Vedder später -, dass es sich bei der Wiener Stadthalle um die schlimmste oder zweitschlimmste Halle handle, in der sie je gespielt hätten. Und plötzlich wurde es gut. Richtig gut. Last Exit mit seiner blechernen Snare Drum markierte den Anfang eines Konzertblocks, den man als mitreißend beschreiben muss, egal wie sehr man sich dagegen innerlich wehrte. Man versuchte es mit Feindseligkeit: "Eddie Vedders Stimme klingt mitunter, als würde Chris de Burgh einen auf Johnny Rotten machen." Da lachte man gerade in sich hinein, die Eigenen sind die Besten, herrlich, und plötzlich spielte die Band Public Image von Public Image Limited. Deren Sänger war Johnny Rotten. Ein kosmischer Fingerzeig?

Vielleicht, durchfuhr es einen, ist der Eddie ja doch ein Bursch. Okay - schön anzusehen war er nicht, wie er da mit dem Mikroständer rumtanzte oder mit der Gitarre auf dem Boden herumkugelte, aber sympathisch schon, und das immer mehr. Und nach über einer Stunde gut Holz samt einer pädagogisch wertvollen LSD-Anekdote weichte die von der Bühne ausgehende penetrant gute Stimmung schließlich die der Historie geschuldeten Bedenken gegen Pearl Jam auf. Schließlich gelten sie als Kommerzgünstlinge des Grunge.

Grüße an Onkel Neil

Während aus weit besseren Bands wie Mudhoney und Tad nichts wurde oder zumindest nicht sehr viel, wuchsen Pearl Jam im Windschatten von Nirvana zu einer der erfolgreichsten Bands des Planeten. Angesichts ihrer Alben bleibt das ein Mysterium. Da gilt: Das beste Pearl-Jam-Album ist ein Neil-Young-Album namens Mirrorball. Eine Veröffentlichung aus dem Jahr 1995, für die Young sich Pearl Jam als Backing-Band unter den Nagel gerissen hatte. Das tat damals beiden gut.

Young wurde an diesem Abend schließlich noch begrüßt. Im Zugabenblock, den Vedder sitzend mit der Akustischen einläutete, sinnierte er über "Onkel Neil", der am 23. Juli in derselben Halle auftreten wird, und ersuchte das Publikum, ihn von "seinen Neffen" grüßen zu lassen. Dann spielte er Youngs Junkie-Schunkler The Needle and the Damage Done, später noch das wütende Fuckin' Up, ebenfalls vom lieben Onkel.

Im ruhigeren Teil tauchten dann zwar Charakteristika auf, die die Band oft so mühsam machen: dieses angestrengte, zum Pathos neigende Kunstbluesige. Und natürlich war ihr Angebot großzügig übertrieben. Jedes Konzert, das fast drei Stunden dauert, hat seine Längen, und die machen Gitarrensoli nicht kürzer. Dennoch: Der Saal kochte, die Stimmung war großfamiliär, und Pearl Jam verließen als höfliche, gerne Publikumswünsche erfüllende Besucher eine Stadt, die sie richtig gut gerockt hatten.

Der Rucksack mit den Vorbehalten, er nahm sich auf dem Heimweg wohltuend leicht aus. (Karl Fluch, DER STANDARD, 27.6.2014)