"Disney mochte ich gar nicht." - Caroline Leaf ließ sich von Literatur und von Materialien inspirieren.

Foto: Animation Summer / Markus Passecker

St. Pölten - Die Fingerspitzen von Caroline Leaf sind noch zart verfärbt: Den Tag hat sie in einem abgedunkelten Seminarraum verbracht, in dem sich Fotokameras auf Stativen über Tische neigen. Unter den Kameras auf dem Tisch befindet sich jeweils eine Glasplatte. Was darauf gemalt wird, das wird fotografisch festgehalten. Über Computer weiter verarbeitet, entstehen so Einzelbild für Einzelbild animierte Sequenzen. "Viele meiner Filme habe ich so gemacht", sagt Leaf, "mit nasser Farbe auf Glas - und ich bewege das Geschehen mit meinen Fingern. Man kann auch einen Pinsel oder ein Tuch verwenden. Oder Wasser zuführen. Die Hauptsache ist, dass die Bilder direkt unter der Kamera entstehen."

Leaf unterrichtet diese Technik beim Animation Summer, einer Kooperation des Wiener Filmfestivals Tricky Women und der FH St. Pölten. Sie selbst hat einst mit noch einfacheren Mitteln begonnen, ihre später preisgekrönten Erzählminiaturen zu machen: Ihre ersten Bilder hat die 1946 geborene Amerikanerin aus Sand auf einem Leuchtkasten modelliert. Das war Ende der 1960er-Jahre als Studentin in Harvard, wo man damals, so erzählt sie im Gespräch mit dem Standard weiter, eine Animationsfilmklasse "als eine Art Ausgleich zur hoch akademischen Ausrichtung der Universität eingerichtet hatte. Es wurde beispielsweise nicht vorausgesetzt, dass man zeichnen konnte.

Wir haben also Objekte bewegt - oder unsere Körper mittels Pixillation. Puppentrick wäre schon zu kompliziert gewesen. Ich wollte aber etwas anderes ausprobieren, da bin ich auf den Sand gekommen. Als ich später Farbe einsetzen wollte, ging ich zur Glasmalerei über."

Zehn Minuten in zwei Jahren

Leafs Filme wurden in Handarbeit hergestellt, in monatelangen einsamen Sitzungen: "Für The Street beispielsweise brauchte ich von Ideen und ersten Vorskizzen bis zur Fertigstellung zwei Jahre." Der 1976 veröffentlichte, knapp zehnminütige Film nach einer Erzählung von Mordecai Richler, wurde für den Oscar nominiert und zählt längst zu den Klassikern der Animation. Entstanden ist er bereits im Auftrag des National Film Board in Kanada.

Mit Unterstützung dieser bedeutenden staatlichen Filmförderinstitution konnte Leaf über viele Jahre Arbeiten realisieren, die Volksmärchen (The Owl Who Married a Goose, 1974) oder literarische Vorlagen (The Metamorphosis of Mr. Samsa, 1977) in fließende Sequenzen übersetzen. Am Ende sind diese vielen Einzelbilder - anders als bei anderen Animationsverfahren - nur noch im fertigen Film aufgehoben, außerhalb existieren sie nicht mehr.

Caroline Leaf, die heute in London lebt, hat das Filmemachen mittlerweile zugunsten der Malerei aufgegeben - ihre Animationsfilmvergangenheit sei dabei allerdings nur bedingt hilfreich: "Der Einzige, der es hinbekommen hat, im Kunstfeld und als Animationsfilmer gleichermaßen anerkannt zu sein, ist William Kentridge. Aber er hat auch nie das Wort ,Animation' benutzt." Vor allem das Vorhandensein einer Erzählung sei ein Merkmal, das den "Schönen Künsten" oder auch der Filmavantgarde zur Abgrenzung vom Animationsfilm diene - auch wenn man immer wieder dieselben Zugänge und Techniken teile.

Ihre eigenen (Tafel-)Bilder bewegen sich aber auch weg vom Geschichtenerzählen, tendieren zum Abstrakten. Und sie sind alle quadratisch. Ist das Konzept? "Ja, Quadrate machen mich total zufrieden! Ich kann das nicht erklären, aber das Format wäre mir schon als Filmemacherin lieber gewesen. Ich habe lange gebraucht, um entspannt eine Person zeichnen zu können. Bei den Filmen war mir immer sehr recht, dass das einzelne Bild nicht so viel bedeutet, nur für Sekunden da ist, bevor es sich in etwas anderes auflöst. Die Umstellung auf Papier war nicht einfach, inzwischen sind die Menschen irgendwie aus meinen Arbeiten verschwunden. Vielleicht hat das auch damit zu tun, dass es mir immer schwerer fällt, mir ein Bild von einer Person zu machen." (Isabella Reicher, DER STANDARD, 27.6.2014)