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Der Bulle, als Symbol des Optimismus und steigender Kurse, regiert aktuell die Finanzmärkte. Geht es nach Analysten, verstecken sich aber noch viele Investoren und könnten angesichts neuer Rekorde auf die Märkte kommen.

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Wien - Nicholas Woodman hat gut lachen. Der Rückenwind an den Kapitalmärkten hat beim Börsengang seiner Firma, dem Actionkamera-Anbieter GoPro, dazu beigetragen, dass er kräftig Kasse machen konnte. Die Aktien werden nach aktuellen Schätzungen zum anvisierten Höchstpreis unter die Investorenschaft gebracht. Anleger bewerten die Aktie sehr hoch, und zahlen für jeden Dollar Gewinn, den GoPro macht, gut 60 Dollar an der Börse. Große Unternehmen im breiten Aktienindex S&P 500 werden nur mit einem Drittel davon bewertet.

Dieses Geschäft geht für die GoPro-Aktionäre nur auf, wenn das Unternehmen wachsen und Gewinne machen kann. Woodman macht die hohe Bewertung hingegen zu einem Milliardär - das Magazin Forbes schätzt sein Vermögen auf 1,3 Milliarden Dollar.

Dieser Börsengang ist symptomatisch für die aktuelle Lage an den Finanzmärkten. Daten von Dealogic, die dem Standard vorliegen, zeigen, dass 2014 weltweit bis dato mehr als 113 Milliarden Dollar mit Börsengängen eingesammelt wurde. Es ist das beste Jahr für Börsendebüts seit 2007. Auch die Angst der Investoren vor heftigen Rückschlägen ist zuletzt gefallen.

Angst schwindet

Der Volatilitätsindex für den deutschen Aktienmarkt (der VDAX) liegt in der Nähe seines Allzeittiefs, niedriger als in den Jahren vor Ausbruch der Finanzkrise. In den USA oder Asien liegen die Angstindizes - sie geben an, mit welchen Schwankungen Optionsanleger rechnen - ähnlich niedrig. Diametral dazu sind die Kurse gestiegen. Der MSCI World, ein wichtiger, globaler Aktienindex, eilt aktuell von einem Rekordhoch zum nächsten.

Die Euphorie macht Investmentmanager auch skeptisch. "Nichts ist mehr billig", warnt etwa Vincent Strauss, Leiter des unabhängigen Vermögensverwalters Comgest in Paris. Viele Märkte seien mit dem Rückenwind durch die Zentralbanken relativ teuer geworden. Das hat einen einfachen Grund: Die Aktienmärkte in Europa und den USA sind 2013 deutlich nach oben geschossen, doch die Gewinnentwicklung blieb dahinter zurück. Daher zahlen Investoren eine immer höhere Prämie für die erzielten Gewinne. In Europa und den USA etwa rührten 20 Prozentpunkte des Ertrags nur von dieser höheren Prämie.

Joe Kalish, Makrostratege bei dem unabhängigen US-Analysehaus Ned Davis Research, sieht gute Gründe dafür, wieso die Finanzmärkte so gut gelaufen sind: "Die größten Volkswirtschaften wachsen wieder und der Gegenwind von den Schwellenländern ist abgeebbt." Dazu hat die Kreditvergabe in den USA eine Trendwende vollzogen, Haushalte etwa müssen nicht mehr ihre Schulden abbauen. In der Eurozone wiederum hat die EZB eine Erholung auf den Anleihenmärkten der Peripherie induziert (siehe Grafik). Die Zinsen von Spanien oder Italien sind heute fast so gering wie in den USA.

Renditen abgegrast

Kalish, der auf Einladung der Kathrein Privatbank in Wien war, sagt, dass "die Zentralbanken Investoren dazu zwingen, nach höher verzinsten Wertpapieren zu suchen, in Aktien oder Immobilien zu investieren." Dabei grasen sie aber zusehends die Renditen ab. So sind die Zinsen von Hochzinsanleihen auf nur noch fünf Prozent gefallen, ein Allzeittief. Kalish kann sich "nur sehr schwer" steigende Kurse bei diesen als "Ramschpapieren" bekannten Papieren vorstellen.

Wie teuer die Anleihenmärkte sind, lässt sich etwa an einer einfachen Maßzahl festmachen. In Europa erzielen Investoren derzeit mit den Dividenden von zwei Dritteln aller börsenotierten Unternehmen höhere laufende Renditen als mit den Unternehmensanleihen. Historisch lag dieser Anteil bei weniger als 30 Prozent. Langfristig seien Aktien daher "ein besserer Ort für das Geld von Investoren als die meisten Anleihenmärkte", so Kalish.

Tatsächlich könnte es noch einiges an Rückenwind für die Aktienmärkte geben. Nach wie vor haben etwa große, institutionelle Investoren wie Pensionsfonds, Stiftungen oder Versicherungen relativ wenig in Aktien veranlagt. Kurzfristig könnte es aber aufgrund der Bewertung am Aktienmarkt "jederzeit" eine Korrektur geben. Zu den aktuellen Kursen sind für Aktienmärkte daher starke Nerven nötig. Denn Risiken für den Ausblick gibt es allemal, auch abseits hoher Bewertungen:

  • Zinsen Die US- und die britische Zentralbank schwenken gerade auf einen neuen geldpolitischen Kurs ein. So könnte die steigende Inflation in den USA eine schnellere Normalisierung der Zinsen bedeuten, warnt Kalish: "Investoren haben die Inflation derzeit kaum auf dem Radar." Steigende Zinsen bei den Anleihenmärkten könnten einen Minicrash bei Aktien auslösen.
  • Wachstum Im ersten Quartal hat die Konjunktur weitgehend enttäuscht. Die US-Wirtschaft ist kräftig geschrumpft, obwohl Ökonomen Wachstum erwartet hatten. Daher könnten die positiven Signale aus der größten Volkswirtschaft der Welt ausbleiben. In Europa droht die Lage an der Peripherie wachstumsseitig mau zu bleiben. Das könnte Kapitalmärkte wieder unter Druck bringen – und Erfolgsgeschichten wie jene von GoPro-Gründer Woodman würden wieder seltener erzählt werden. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 27.6.2014)