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Angela Merkel - die nach Zögern Jean-Claude Juncker unterstützt - stellte sich vor dem Gipfel den Medien.

Foto: REUTERS/Francois Lenoir

Der jüngste EU-Gipfel sollte nach dem Plan des Ständigen Ratspräsidenten Herman Van Rompuy als etwas Besonderes in Erinnerung bleiben. Hundert Jahre nach dem Attentat von Sarajevo, das zum Ersten Weltkrieg führte, hat er die 28 Staats- und Regierungschefs der Union zum Auftakt ihres mit Arbeit dicht bepackten Treffens am Donnerstagabend zunächst nach Ypern in Westflandern beordert.

Dort sind auf den Schlachtfeldern hunderttausende Soldaten im Stellungskrieg gestorben, viele bei Giftgasangriffen der Deutschen krepiert. Eine Gedenkfeier zu diesem Horror und die noch heute spürbare Beklemmung, die von diesem Ort ausgeht, sollte die Staatenlenker in dem wieder aufkommenden Nationalismus nach den Europawahlen Ende Mai ein bisschen aufrütteln und daran erinnern, was der Kern des EU-Projekts ist - das war Van Rompuys Überlegung: friedliche, demokratische Konfliktbeilegung, gemeinsames Handeln, Aussöhnung.

Briten bestanden auf Abstimmung

Erst nach einem gemeinsamen Abendessen, bei dem das Arbeitsprogramm der künftigen EU-Kommission erstmals sehr konkret diskutiert wurde, sollten die EU-Spitzen dann ins Ratsgebäude nach Brüssel zurückkehren, um ihr politisches Geschäft zu erledigen.

Der wichtigste Schritt dabei ist die Nominierung des Kommissionspräsidenten. Dass der frühere luxemburgische Premierminister Jean-Claude Juncker heute, Freitagnachmittag, formell aufgestellt wird, um im EU-Parlament Mitte Juli gewählt zu werden, daran bestand schon zu Beginn des Gipfels - wie berichtet - kein Zweifel mehr.

Schweden und die Niederlande hatten die Nein-zu-Juncker-Front von Premier David Cameron da bereits verlassen. Der Brite bestand - eventuell mit dem Ungarn Viktor Orbán - auf formelle Abstimmung, wie das im EU-Vertrag auch vorgesehen ist.

Mit dem Vertrag von Lissabon ist in die Union 2009 ein Stück mehr Demokratie eingezogen. Zusätzlich zu dem bereits 2003 abgeschafften Vetorecht jedes EU-Landes bei der Nominierung des Präsidenten muss nun auch das EU-Wahlergebnis berücksichtigt werden. Und das EU-Parlament hat die Möglichkeit, einen Kandidaten mit Mehrheit abzulehnen.

Weil das so ist, haben sich 26 von den 28 Staaten am Ende offen durchgerungen, dem Spitzenkandidaten der Christdemokraten (die die Wahl gewonnen haben), ihre Stimme zu geben.

Empfindliche Nationalstaaten

Was wie ganz normale Demokratie auf EU-Ebene klingt, ist aber nicht ganz so einfach. Die Union ist - was die Machtverteilung betrifft - nach wie vor stark von den Nationalstaaten bestimmt. Es ist noch nie vorgekommen, dass ein Land - noch dazu ein großes, als Nato-Partner und UN-Sicherheitsratmitglied so wichtiges Land wie Großbritannien - in einer "vitalen Frage" einfach überstimmt wird. Der Konflikt mit Cameron um Juncker geht tief. Man behalf sich also, indem man etwas von der Personalfrage wegrückte, sich auf sachpolitische programmatische Ziele der künftigen Kommission konzentrierte. Das war seit der Wahl im Mai etwas untergegangen, auch, weil das Ringen um die wichtigsten Positionen in den EU-Institutionen bereits losging.

Über die Wahl der Nachfolger als Außenbeauftragte nach Catherine Ashton und von Präsident Van Rompuy wird erst entscheiden, wenn Juncker in Straßburg bestätigt ist - wohl am 17. Juli.

Bis dahin muss zwischen Rat, Parlament und Juncker ein inhaltlicher Konsens gefunden werden. Sicher scheint: Die Kommission, derzeit von christdemokratischen und liberalen Kommissaren dominiert, wird "weicher" , politisch sozialer agieren müssen. Die Sozialdemokraten werden stärker vertreten sein. Erstes Anzeichen: Wachstumspolitik und Beschäftigung bekommen höchste Priorität. (Thomas Mayer aus Brüssel, DER STANDARD, 27.6.2014)