Endgültig vorbei war die Vorratsdatenspeicherung in ihrer jetzigen Form am Montagvormittag noch nicht: Der Bundeskanzler muss den Spruch des Verfassungsgerichtshofs (VfGH) vom vergangenen Freitag erst offiziell kundtun und in der Wiener Zeitung veröffentlichen, was noch am Montag passieren soll. Erst dann ist die Vorratsdatenspeicherung, die von den Höchstrichtern wegen ihrer "Unverhältnismäßigkeit" als verfassungswidrig bezeichnet wurde, in Österreich Geschichte. Das könne bis zu zwei Wochen dauern, heißt es aus dem VfGH, bis dahin wäre es rein theoretisch sogar illegal, Daten zu löschen oder nicht mehr zu speichern.
Provider bereiten sich vor
Österreichische Internetprovider bereiten sich in der Zwischenzeit intensiv auf das Inkrafttreten des VfGH-Urteils vor. "Unsere Juristen evaluieren momentan“, so A1, auch bei UPC, Drei und T-Mobile sind die Rechtsabteilungen schwer beschäftigt. Im Anschluss muss eine technische Lösung gefunden werden, so T-Mobile Pressesprecher Helmut Spudich: "Technisch ist die Umsetzung des Urteils nicht trivial, da in große Datenbanken eingegriffen wird". Es könnte sogar sein, dass die Juristen auf das ausformulierte, schriftliche Urteil des Verfassungsgerichtshofs warten müssen, bis sie ihren Unternehmen einen genauen Plan zur Umsetzung vorlegen können.
Politik wartet auf ausformuliertes Urteil
Laut VfGH ist dieses Urteil bis spätestens Ende August zu erwarten. Bis dahin sind auch der Politik die Hände gebunden, heißt es aus unterschiedlichen Bundesministerien. Denn erst wenn die Verfassungsrichter detailliert darlegen, welche Bedingungen eine "verhältnismäßige" Form der Datenspeicherung erfüllen muss, könnten Alternativen erarbeitet werden.
Verbindungsdaten: Bis zu sechs Monate
Vorerst muss sich die Justiz also mit dem Zugriff auf Verbindungsdaten zufrieden geben, die zu Rechnungszwecken von Telekomprovidern gespeichert werden –genau wie vor der Einführung der Vorratsdatenspeicherung im April 2012. Laut A1, T-Mobile und Drei werden diese Verbindungsdaten bis zu sechs Monate gesammelt, also gleich lang wie die verpflichtenden gespeicherten Vorratsdaten.
Allerdings beinhalten diese Datensätze eben nur Verbindungsdaten, erklärt IT-Rechtsexperte Lukas Feiler von Baker & McKenzie: "Durch das Ende der Vorratsdatenspeicherung fallen etwa Daten zu Funkstandorten weg.“ Im Bereich der Internetverbindungsdaten komme es zu noch größeren Einschränkungen, da Provider nicht speicherten, welche IP-Adressen zugeteilt würden. Dadurch habe der Wegfall der Vorratsdatenspeicherung trotz Fortbestands der Verbindungsdaten einen positiven Effekt auf den Datenschutz.
Ministerien wollen weiterhin Vorratsdaten
Die Angabe, wer wann wielange mit wem telefoniert habe, könnte dabei für die Justiz nicht ausreichen, betonten Vertreter von Justiz- und Innenministerium. So kündigte Justizminister Brandstetter bereits kurz nach dem VfGH-Urteil an, auch weiterhin einen "Rückgriff auf gespeicherte Telekommunikationsdaten" ermöglichen zu wollen. Argumentiert wird das unter anderem mit Ermittlungen wegen Kinderpornographie. „Wir hören von den Staatsanwälten immer wieder, dass gerade im Bereich Kinderpornographie mit Vorratsdaten ein wichtiges Ermittlungsinstrument wegfalle“, heißt es aus der Pressestelle des Justizministeriums.
Quick Freeze ist "legistische Herausforderung"
Als Alternative zur Vorratsdatenspeicherung, die in ihrer jetzigen Form wohl ohne Verfassungsänderung nicht mehr möglich ist, wird immer wieder der sogenannte Quick Freeze genannt. Auch Justizministeriums-Sektionschef Christian Pilnacek bestätigt Überlegungen zu diesem Thema. Konkret greifen Ermittler beim Quick Freeze auf die zu Rechnungszwecken gespeicherten Daten zu.
Bei einem Verdacht verfügen sie ein "Einfrieren“ der Daten, sodass diese nicht automatisch von den Providern gelöscht werden. Um sie dann tatsächlich sehen zu können, müsse eine richterliche Anordnung eingeholt werden.
"Mini-Vorratsdatenspeicherung"
"Die Herausforderung hierbei ist es, den Anlass für einen Quick Freeze ausreichend eng zu definieren“, so IT-Jurist Feiler, der die Methode als eine Art "Mini-Vorratsdatenspeicherung“ bezeichnet. Für die Einführung des Quick Freeze ist eine einfache Regierungsmehrheit im Nationalrat notwendig, auch wenn die Umsetzung laut Feiler eine „legistische Herausforderung“ bedeute.
Zugriff auf Nachrichteninhalte möglich
Deutliche einfacher könnte die Bundesregierung an Inhalte von E-Mails gelangen: In der Strafprozessordnung ist geregelt, dass Ermittler mit richterlichem Beschluss prinzipiell auf "Inhalte von Nachrichten" zugreifen können. Dieser gelte laut Feiler von Baker & McKenzie für alle Telekom-Anbieter. Allerdings sieht der laut Überwachungsverordnung gültige sogenannte ETSI-Standard, in dem die technische Übertragung dieser Daten geregelt ist, keine Übertragung von Internetinhalten vor.
Diese Änderung könnte allerdings mit einfacher Verordnung von Verkehrsministerin Bures vorgenommen werden – und laut Regierungskreisen drängen Innen- und Justizministerium derzeit auf eine solche Änderung. Bestätigung oder Dementis gab es dafür keine, das Justizministerium betonte erneut, auf das Urteil warten zu wollen. (fsc, derStandard.at, 30.6.2014)