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Martin Schulz (links) und Jean-Claude Juncker erhalten nach dem Wahlkampf um das Amt des Kommissionspräsidenten (im Bild vor einem TV-Duell) beide hohe EU-Posten.

Foto: EPA / AXEL HEIMKEN

Martin Schulz ist der zupackende, emotionale, direkte, nicht selten laute Typ Politiker. Aber so herzhaft fest, wie der deutsche Sozialdemokrat am Dienstag mitten im Plenum des Europaparlaments in Straßburg kurz nach Mittag Rebecca Harms umarmte, hat man selbst ihn selten gesehen.

Nur zwei, drei Minuten später sollte Interimspräsident Gianni Pittella den 751 EU-Abgeordneten von seinem Pult aus offiziell das Ergebnis des ersten Wahlgangs zur Wahl des EU-Parlamentspräsidenten bekanntgeben: Da wusste ein erleichterter, ja strahlender Schulz aber offenbar schon alles.

409 Abgeordnete stimmten für ihn; bei 723 abgegebenen Stimmen, von denen 111 ungültig waren. Gereicht hätten sogar bloß 307 Stimmen. Seine drei Gegenkandidaten kamen über die Stimmenanzahl ihrer Fraktionen und Lager kaum hinaus - darunter die Grüne Ulrike Lunacek, die 51 Stimmen bekam.

409 Stimmen und eine Wiederwahl im ersten Anlauf, das musste für den Deutschen wohl auch eine sehr persönliche Genugtuung sein: In den vergangenen Tagen war viel Kritik an ihm geübt worden, dass er als nicht erfolgreicher Spitzenkandidat von Europas Sozialdemokraten sein Amt für eigene Zwecke einspanne. Er war bereits seit Jänner 2010 Präsident, trat vor zwei Wochen ab, um die Fraktion zu übernehmen und über die künftige EU-Kommission mit Jean-Claude Juncker verhandeln zu können, und selber dessen Stellvertreter zu werden.

Längste Amtszeit

Nun zieht er erneut ins Präsidentenbüro ein. Das hat vor ihm in der Tat noch nie jemand geschafft. Das höchste Amt in Straßburg war seit der Einführung der Direktwahlen 1979 stets zwischen den Mehrheits- bzw. den dominierenden Fraktionen abwechselnd auf jeweils zweieinhalb Jahre geteilt worden. Der Deutsche wird insgesamt fünf Jahre an der Spitze der Bürgerkammer gestanden sein, wenn er Anfang 2017 an einen Konservativen übergibt.

So ist das zwischen EVP und S&D ausgemacht. Diese beiden größten Fraktionen bilden den Kern einer Arbeitskooperation, eine "Eurokoalition"; werden die EU-Kommission unter Juncker bis 2020 inhaltlich und personell dominieren - unter loser Beteiligung der liberalen Fraktion. Schulz, der das von den Briten arg verhasste "System Spitzenkandidat" bei den EU-Wahlen neu definiert hat, ist einer der Architekten dieses Projekts. Nach der Nominierung des luxemburgischen Ex-Premierministers als künftiger Kommissionspräsident vergangene Woche ist mit Schulz die zweite Säule gesetzt. Juncker stellt sich am 16. Juli dem Plenum in Straßburg zur Wahl. Noch in der Nacht darauf wollen die Staats- und Regierungschefs in Brüssel die übrigen EU-Spitzenposten besetzen.

Kein Wunder, wenn der neue alte Parlamentspräsident "zufrieden und demütig" auf die Bestätigung durch 409 EU-Abgeordnete reagierte. Fast alle Sozialdemokraten, gut drei Viertel der Christdemokraten, aber auch viele Liberale und Einzelne von Grünen und Linken dürften ihm ihre Stimme gegeben haben. So ähnlich sollte es wohl auch bei Juncker in zwei Wochen laufen. Die beiden Vollblutpolitiker, die sich bei den EU-Wahlen als Rivalen um das wichtigste Amt gegenüberstanden, laufen nun als Art Team für Europa.

Juncker galt der erste Anruf, als er sein leeres neues altes Büro im 15. Stock aufsuchte. Im Plenum hatte der Deutsche zuvor allen gedankt, seinen Unterstützern wie den Gegnern, "die einem erst ermöglichen, Profil zu entwickeln".

Augenhöhe mit Regierungen

Er beschwor die Wichtigkeit, dass die Demokratie in Europa gestärkt, das EU-Parlament neben dem Rat der Nationalstaaten und der Kommission als gleichrangig etabliert werde: "Man kommt an uns nicht mehr vorbei." Daran mitzuwirken erfülle ihn mit Stolz.

Er wolle mit Juncker nun daran arbeiten, dass die europäische Gesetzgebung in viel engerer Abstimmung zwischen Kommission und Parlament ablaufe - damit bürgernäher, effizienter, sagte Schulz dem Standard. Dass er als Präsident wiedergewählt wurde, sei "eine außerordentliche Ehre", mache ihn demütig, er wolle alle Abgeordneten vertreten.

Ausnahme: Zu jenen, die das EU-Parlament von innen her zerstören wollen, wie das Teile der Rechten unter Front-National-Chefin Marine Le Pen oder die Fraktion von Nigel Farage von Ukip auf ihre Fahnen schrieben, ging er auf Distanz.

Neben Schulz wurden am Nachmittag auch die vierzehn Vizepräsidenten gewählt, darunter aus Österreich die Grüne Lunacek. Othmar Karas (VP) scheidet als Vizepräsident aus. (Thomas Mayer aus Straßburg, DER STANDARD, 2.7.2014)