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Der Grenzzaun zwischen Israel und dem Sinai, der afrikanische Flüchtlinge zunehmend dazu bewegt, über Libyen den Weg in den Westen zu suchen.

Foto: REUTERS/Amir Cohen

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Flüchtlinge vor der Küste Italiens. Viele kommen nicht bis hierher, sondern sitzen wochen- oder monatelang in libyschen Lagern fest.

Foto: EPA/ITALIAN NAVY PRESS OFFICE

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Flüchtlinge im Lager Zawija im Norden Libyens.

Foto: REUTERS/Ahmed Jadallah

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Mitglieder der libyschen Armee in der Nähe des Flüchtlingslagers Sabha, wo immer mehr Insassen Folter und Misshandlungen beklagen.

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Erneut haben mehr als 100 Flüchtlinge versucht, über das Mittelmeer von Nordafrika nach Europa zu gelangen. Nur 27 erreichten italienisches Festland, mehr als 70 werden noch vermisst. Trotz der lebensgefährlichen Überfahrt wagen immer mehr ostafrikanische Flüchtlinge, die zunehmender Verfolgung und Gewalt in ihrer Heimat ausgesetzt sind, den gefährlichen Weg. Ihre Route soll sie eigentlich über Libyen und das Mittelmeer nach Italien führen - doch viele kommen nicht weiter als bis in den Süden Libyens, wo sie Menschenrechtsorganisationen zufolge der Gefahr von Folter und Entführungen ausgesetzt sind.

Im Süden Libyens würden vor allem Flüchtlinge aus Äthiopien, Eritrea und dem Sudan festgehalten und gefoltert, um von deren Angehörigen hohe Lösegeldzahlungen zu erpressen, sagt Sarah Elliott, UNHCR-Beraterin im Sudan mit Schwerpunkt Menschenhandel, im Gespräch mit derStandard.at.

Verlagerung vom Sinai nach Südlibyen

Viele Flüchtlinge hatten im vergangenen Jahr darüber berichtet, in der ägyptischen Sinai-Wüste mehr als ein Jahr lang festgehalten worden zu sein, da ihre Entführer bis zu 30.000 Euro Lösegeld pro Person erpressen wollten. Seit Israel aber einen Zaun an der ägyptischen Grenze errichtet hat, ist die Zahl der illegalen Übertritte dort radikal gesunken. Im Herbst letzten Jahres begann die ägyptische Armee zudem eine Offensive auf dem Sinai; die Grenzwächter beider Seiten arbeiten nun verstärkt zusammen und setzen auch scharfe Munition ein.

Weil der Weg über Israel zunehmend schwieriger wird, versuchen immer mehr Menschen, über Libyen und das Mittelmeer zu fliehen, und landen im Süden des nordafrikanischen Landes, wo mittlerweile ebenfalls verstärkt Entführungen und Lösegeld-Erpressung betrieben werden. Elliott spricht mittlerweile bereits von eine Verlagerung der "Foltercamps" vom Sinai nach Südlibyen.

Folter auch in Flüchtlingslagern

Hinzu kommt, dass Flüchtlinge oftmals Monate, zum Teil auch Jahre in den offiziellen libyschen Flüchtlingslagern verbringen müssen, die unter Kontrolle des Innenministeriums stehen. Meldungen über Folter und Misshandlungen durch dort tätige libysche Wachmänner nehmen ebenfalls zu.

Zuletzt berichtete Human Rights Watch Ende Juni: Nach einer Befragung, die die Organisation in neun libyschen Flüchtlingslagern durchgeführt hatte, klagte sie über eine "massive Überbelegung" sowie "katastrophale sanitäre Zustände". Fast drei Viertel der befragten Flüchtlinge gaben demnach an, von Wachen gefoltert oder misshandelt worden zu sein, unter anderem mit Peitschenhieben, Schlägen und Elektroschocks.

Gefangene schilderten brutale Angriffe sowie Leibesvisitationen, die männliche Wachen bei Frauen und Mädchen durchgeführt hätten. In einem Lager wurden Flüchtlinge kopfüber an Bäume gehängt und ausgepeitscht. Politik und Behörden sähen weg und schafften damit eine "Kultur der völligen Straflosigkeit für die Misshandlungen", kritisierte Gerry Simpson von Human Rights Watch.

Milizen und Menschenhändler arbeiten zusammen

Jene Flüchtlinge, die es nach Europa schaffen, berichten ebenfalls von Folter und Misshandlungen durch libysche Milizsoldaten und sudanesische Menschenhändler. Nachdem eines der vielen überfüllten Flüchtlingsboote im vergangenen Jahr vor Lampedusa gesunken war, sprachen Überlebende von schrecklichen Zuständen im südlibyschen Flüchtlingslager Sabha, wo jene Frauen, die nicht tausende Euro für ihre "Freiheit" zahlen konnten, mehrere Male vergewaltigt worden seien.

In diesem Fall hat die italienische Polizei mittlerweile zwei Männer aus dem Sudan und Libyen festgenommen, die die Reise organisiert haben sollen. Ihnen wird vorgeworfen, Millionen mit dem Menschenhandel über das Mittelmeer verdient zu haben. Nach Angaben der Ermittler hatten die mutmaßlichen Menschenhändler eine Organisation aufgebaut, die in mehreren afrikanischen und italienischen Städten präsent war.

Katastrophale Bedingungen

Bereits im Jahr 2012 berichtete Amnesty International darüber, dass sich mit dem Ende des Regimes von Muammar al-Gaddafi im Jahr 2011 die Situation der nicht registrierten Ausländer im Land noch verschlechtert habe, UNHCR-Beraterin Elliott spricht jetzt sogar von katastrophalen Bedingungen für Flüchtlinge.

Vor allem Menschen schwarzer Hautfarbe haben es nach Angaben von Amnesty International in Teilen der libyschen Bevölkerung schwer, da ihnen unterstellt wird, während der Revolution 2011 als Söldner für Gaddafi gekämpft zu haben.

Italien hat mit 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernommen und will die Flüchtlingspolitik in den Mittelpunkt stellen. Ob das bedeutet, dass die Kooperation mit den libyschen Behörden ausgebaut und damit das Mittelmeer strenger überwacht wird, wird sich zeigen. Den Flüchtlingen im Süden Libyens wird es kaum zugutekommen. (Noura Maan, derStandard.at, 3.7.2014)