Der plötzliche Verlust der Selbstbestimmung ist für jeden Menschen ein einschneidendes Ereignis, mehr oder weniger. Sich unvermutet nicht mehr frei bewegen zu können, in einem Fahrstuhl stecken zu bleiben, im Keller eingesperrt zu werden - das sind unangenehme Erfahrungen. Um ein Gefühl von Ohnmacht nachvollziehen zu können, muss man gar nicht erst im Gefängnis gewesen sein.

Umso mehr lässt sich erahnen, was eine polizeiliche Festnahme für Charaktere wie Nicolas Sarkozy bedeuten muss. Der 59-jährige konservative Politiker war als französischer Staatspräsident von 2007 bis 2012 einer der mächtigsten Männer der Welt. Er hat den Nato-Einsatz in Libyen durchgedrückt. Er hat in der Eurokrise mit Angela Merkel die Fäden gezogen. Vor 2007 war er bereits "Superminister" für Wirtschaft und Finanzen; und als Innenminister Herr über zigtausend Polizisten - im Zweifel immer ein Hardliner, wenn es darum ging, die Staatsgewalt gegen Bürger einzusetzen.

Erotik des Atomwaffeneinsatzbefehls

Nicht zufällig hat seine dritte Ehefrau, Sängerin und Ex-Topmodel Carla Bruni, in einem Chanson über ihren Angebeteten eine Anspielung darauf gemacht, welche Erotik von einem Mann ausgeht, der den Befehl zum Einsatz der Atombombe gibt. Ein Präsident ist von der französischen Verfassung her jemand, der quasi über dem Gesetz steht und nur eingeschränkt verfolgt werden darf. Das war auch der Grund, warum Sarkozy, der mit seiner Partei UMP mit Korruptions-, Abhör- und Amtsmissbrauchsvorwürfen in Zusammenhang gebracht wird, kaum greifbar war.

Bis Dienstag, als die Justiz ihn festhielt, weil ihm und seinem Anwalt die illegale Beeinflussung eines Verfahrens gegen ihn vorgeworfen wird. Damit dürfte auch die Rückkehr des gelernten Anwalts auf die politische Bühne schwierig werden. Viele in seiner zerstrittenen UMP haben zuletzt nach ihm gerufen, gehofft, dass er 2017 wieder zur Wahl antritt. Er selbst wohl auch. Ein Leben ohne die Politik - und ohne die Macht -, das war für ihn schon in jungen Jahren kaum vorstellbar.

Gleich nach dem Jusstudium wurde er mit nur 28 Jahren Bürgermeister von Neuilly-sur-Seine, blieb es 20 Jahre lang. Zwischendurch Abgeordneter, gehörte der Sohn ungarischer Emi- granten ab 1993 einigen Regierungen an. Beim rastlosen Aufstieg von Monsieur Bling-Bling, Angeber und Freund der Reichen, gingen zwei Ehen in die Brüche. Öffentliche Anerkennung war ihm stets alles. (Thomas Mayer, DER STANDARD, 2.7.2014)