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Noch-Premier Tayyip Erdogan nach seiner Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten der AKP am Dienstag in Ankara.

Foto: AP Photo/Burhan Ozbilici

Ankara – Der Sessel des Präsidenten ist kein Platz, um sich auszuruhen, hat der türkische Regierungschef und frischgebackene Kandidat fürs höchste Amt im Staat bei seiner Rede in Ankara am Dienstag verkündet. Das wird seinen Freund und derzeitigen Amtsinhaber Abdullah Gül etwas verwundern, seine Gegner in Politik und Gesellschaft aber in ihrer Ahnung bestätigen: Recep Tayyip Erdogan wird, einmal gewählt, auch ohne Präsidialverfassung der mächtigste Mann der Türkei sein wollen. Und das für möglicherweise zwei Amtszeiten bis 2024.

Ganz ähnlich wie bei Wladimir Putin, der 2008 sein Amt als russischer Präsident mit Regierungschef Dmitri Medwedew tauschte, aber die entscheidende Person im Staat blieb, wird auch Erdogans Macht als Premier und Parteichef ins "köşk", der Residenz des türkischen Präsidenten im Stadtteil Cankaya in Ankara, wandern: sein Netzwerk, seine Autorität, die – derzeit noch – alternativlose Führung von Kabinett, Partei und Parlamentsfraktion.

"Weisenrat" aus Erdogan-Vertrauten

Erdogan, so meldete die Nachrichtenagentur Reuters im Vormonat unter Berufung auf einen hochrangigen Berater, werde im Präsidialamt eine Art "Weisenrat" bilden, der die Regierungsarbeit plant und überwacht. Ehemalige Minister und Parlamentarier, denen Erdogan vertraut und die sich der Statuten seiner Partei wegen nicht mehr als dreimal hintereinander zur Wahl stellen können, würden diesem Rat angehören. Das wäre praktisch Erdogans Schattenregierung.

Doch als Präsident hätte Erdogan schon allein durch die jetzige Verfassung erheblichen Spielraum, wenn er seine Rechte voll ausschöpft. Erdogan signalisierte bereits, dass er persönlich die Kabinettssitzungen leiten wolle – der Premier wäre dann, ähnlich wie in Frankreich, nur die ausführende Person. Artikel 104 der türkischen Verfassung gibt dem Präsidenten das Recht, Sitzungen des Ministerrats einzuberufen, "wann immer es ihm/ihr angebracht scheint", und sie zu leiten. Die Putschgeneräle von 1980 und ihr Führer und späterer Präsident Kenan Evren wollten diesen Passus; doch selbst Evren machte von diesem Recht nicht Gebrauch.

Weitreichende Kompetenzen

Der türkische Präsident ernennt auch den Premier, ebenso wie Gerichtspräsidenten, Armeechefs, Botschafter, Rektoren von Universitäten. Er unterschreibt die Gesetze, kann sie an das Parlament zurückschicken, wenn er Einwände hat, das Verfassungsgericht zur Prüfung bestellen und ein Referendum zu Verfassungsänderungen ansetzen. Und er kann das Parlament auflösen und Neuwahlen anordnen.

Als Präsident wird Erdogan auch den Nationalen Sicherheitsrat einberufen und leiten, ein Gremium, in dem Außen- und Verteidigungsminister, Armeechef und Geheimdienstdirektor sitzen. Damit kann Erdogan weiter alle sicherheitspolitisch relevanten Entscheidungen steuern. Der Präsident bestimmt auch über den Einsatz der Armee.

Frage nach neuem Premier

Wer Ende August der nächste Regierungschef nach der erwarteten Wahl Erdogans zum Präsidenten wird, ist eine andere Frage. Die Finanzmärkte würden die Berufung Güls gutheißen; er gibt sich jetzt wieder unentschieden, hat aber in der Vergangenheit ausgeschlossen, dass er unter Erdogan eine Regierung führen wird. Außenminister Ahmet Davutoglu galt bis zum Ausbruch der Irak-Krise als der nächste Favorit auf das Amt; die Vielzahl der Probleme der Türkei in den Nachbarregionen lässt das nun weniger wahrscheinlich erscheinen.

Wirtschaftsminister und Vizepremier Ali Babacan wird ebenfalls als Übergangspremier bis zur Parlamentswahl im Juni 2015 genannt; daneben Emrullah Işler, ein anderer Vizepremier, der das besondere Vertrauen Erdogans hat, sowie Mehmet Ali Şahin. Der Vizeparteichef hatte am Dienstag in Ankara Erdogans Kandidatur für das Präsidentenamt offiziell erklärt. (Markus Bernath, derStandard.at, 2.7.2014)