Friedensforschung in der Türkei: Professorin Havva Kök Arslan und einer ihrer Studenten, der iranischstämmige Iman Ghassemi aus Portland, Oregon.

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Außenpolitik in Nöten: Außenminister Ahmet Davutoglu ging lange Zeit mit seiner Politik der "null Probleme mit den Nachbarn" hausieren. Seit auch der Nachbar Irak unter dem Ansturm sunnitischer Extremisten wankt, muss der türkische Außenminister neue Kritik einstecken. Ankara habe durch logistische Hilfe die Extremisten zuvor in Syrien groß gemacht, heißt es.

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Auf dem Reißbrett der türkischen Außenpolitik schaut es derzeit ein bisschen wild aus, nichts klappt, alles geht aus den Fugen, von Bengasi bis Mossul, mit der einen wichtigen Ausnahme der Zypernverhandlungen, die, von Ankara unterstützt, seit vergangenem Februar laufen. Aus der Perspektive des türkischen Außenministeriums ist das ein Problem der allgemeinen Umstände, keinesfalls auch der eigenen Politik: Konzept richtig, Welt falsch.

Gleichwohl wird man die Einrichtung des ersten Masterprogramms für Friedens- und Konfliktstudien an einer türkischen Universität, knapp 90 Jahre nach Republikgründung, als ein überfälliges Ereignis betrachten müssen. Selbst für Außenminister und Geschichtsprofessor Ahmet Davutoglu und seine "Politik der null Probleme mit den Nachbarn" mag hierin die eine oder andere gedankliche Anregung stecken. Zum Beispiel, wie es sein kann, dass seit nun fünf Jahren aus "null Problemen" ganz viele Probleme für die Türkei werden – von den gestoppten Normalisierungsabkommen mit dem Nachbarn Armenien von 2009 bis zum Aufmarsch der sunnitischen Isis beim Nachbarn Irak im vergangenen Monat.

Denn mit "Frieden" und "Konflikt" ist das so eine Sache in der Türkei. "'Frieden' war hier lange Zeit ein etwas schmutziges Wort. Etwas, das mit Kurden und Abspaltung verbunden wurde", sagt Havva Kök Arslan, die Direktorin des "Peace and Conflict Studies"-Programms an der staatlichen Hacettepe-Universität in Ankara. Mittlerweile sei das anders, sagt die Politologin; die türkische Armee bestimmt nicht länger den politischen Diskurs im Land. Eines der positiven Dinge, die die amtierende Regierung erreicht hat, sagt Havva Arslan: "Sie haben die Gesellschaft verändert und den Menschen erlaubt, anders zu denken. Genau das hat auch den Weg für die Friedensstudien eröffnet."

Havva Arslan begann 2004 als Politikdozentin an der Hacettepe-Uni, aber dann, so erzählt sie, hat irgendetwas gefehlt. "Ich habe nur reproduziert, aber nichts verändert." Sie geht nach Harvard, in die Schweiz, nach Stadtschlaining im Burgenland, ans Studienzentrum für Frieden und Konfliktlösung. Etwas in dieser Richtung schwebt der Wissenschafterin für die Türkei vor. Zwei Jahre lang wägt YÖK, der Hochschulrat des Landes, ihren Antrag für ein Masterprogramm ab – 2012 beginnt sie dann.

"Es geht um Empathie, Kreativität, den Willen, Probleme zu lösen und die Psychologie von Gewalt zu verstehen", erklärt Havva Arslan. "Wir sollten das in der Türkei von Kindesbeinen an lernen. Aber es ist wie mit allen Dingen: Je später im Alter man damit beginnt, um so schwerer wird es."

Zu den Seminaren lädt sie internationale Experten ein: Konfliktforscher, Genderspezialisten, Ökonomen aus der Entwicklungsarbeit, Kommunikationsberater, Verhandlungsstrategen – ein Novum für die Türkei. Finanziert wird der Studiengang noch überwiegend aus Mitteln der Hacettepe-Universität, einen kleinen Teil steuerte die Regierung bei – das Außenministerium mit dem Türk Tanitma Fonu, einem Fonds für Öffentlichkeitsarbeit, und Tika, eine Behörde mit Projekten für internationale Zusammenarbeit, die dem Amt des Premierminister zugeordnet ist.

Die Studenten sind bunt gemischt: junge ausländische Diplomaten, gesellschaftlich aktive Türken, Politikstudenten von ausländischen Universitäten – sogar ein türkischer Polizeibeamter war im vergangenen Semester dabei. Das Masterprogramm wird in Istanbul unterrichtet, zuletzt in einem Ressorthotel am Stadtrand. Mit Beginn des Herbstsemesters soll es erstmals auch ein eigenes Gebäude in Istanbul für die Friedens- und Konfliktstudien geben. (Markus Bernath, derStandard.at, 3.7.2014)