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Mittagspause in Schanghai: Die Lohnkosten für Arbeiter sind in den vergangenen Jahren deutlich gestiegen. Produzieren wird damit teurer. Auch bei Forschung und Entwicklung gibt es Hürden.

Foto: APA/EPA/Qilai Shen

Wien - Das Wachstum von 7,7 Prozent für 2013 in China zeigt, dass der Aufschwung sich im Reich der Mitte langsam abkühlt. Dennoch blicken viele Länder neidvoll auf diese Zuwachsrate. Kein Wunder, dass Unternehmer nach wie vor nach China drängen, um dort ihr Glück zu probieren. Rund 600 österreichische Unternehmen haben bereits eine Niederlassung in China, 130 betreiben Produktionsbetriebe in Schanghai.

All jene, die jetzt noch nach China wollen, sollten sich ihren Markteintritt aber gut überlegen. Wer glaubt, "dort billig produzieren zu können, liegt - zumindest in Ostchina - falsch", sagt der österreichische Wirtschaftsdelegierte für Schanghai, Raymund Gradt. Die Löhne im Großraum Schanghai sind in den vergangenen Jahren um zwölf bis 15 Prozent pro Jahr gestiegen. Da müsse der Gewinn erst entsprechend mitwachsen, um das abbilden zu können. Zur Einordnung: 2004 verdiente ein Arbeiter in Schanghai im Schnitt pro Monat knapp 2000 Renmimbi (rund 230 Euro) - heute mehr als 4000 Renmimbi.

Höhere Kosten

Auch die Körperschaftssteuer wurde deutlich angehoben. Haben ausländische Betriebe 2004 noch 15 Prozent bezahlt, sind es heute 25 Prozent. Wer in China billig produzieren will, muss nach Zentralchina wandern. Damit ergeben sich aber zwei Probleme: Qualifizierte Arbeiter aus den Städten sind für solche Produktionen oft nicht zu gewinnen. "Dafür sind die Löhne in Zentralchina zu niedrig und der Gesichtsverlust, die Stadt verlassen zu müssen, zu groß", sagt Gradt. Das zweite Problem ist logistischer Natur. Der Transport der Güter von der Landesmitte zum Hafen ist kostspielig. "Ein T-Shirt von Zentralchina nach Schanghai zu transportieren ist teurer und dauert länger als von Schanghai nach Rotterdam oder Hamburg", fasst Gradt zusammen.

Der Grund: Für Autobahnen fallen hohe Mautgebühren an, Nebenfahrbahnen sind in schlechtem Zustand, und die Bahn ist langsam. Sinn mache das nur, wenn ein Produkt in sehr hoher Stückzahl produziert werde.

Für den Reexport produziere daher kaum noch ein heimisches Unternehmen in China. "Lenzing hat früher 80 Prozent der Fasern, die in China hergestellt wurden, von dort exportiert", sagt Ernst Sandrieser, Produktmanager für Viscose Fibers der Lenzing-Gruppe, der seit elf Jahren in China ist. Heute blieben 60 Prozent im Land.

Nicht ohne Tücken

"Bei Geschäften in China geht es um die Präsenz am lokalen Markt und um den Absatz vor Ort", sagt Gradt. Hier könnte den heimischen Betrieben der Wandel des chinesischen Wirtschaftssystems - weg von der Exportnation und hin zu einer inlandsgetriebenen Nachfrage - helfen.

Für den lokalen Markt zu produzieren habe aber auch seine Tücken, erklär Birgit Murr, Botschaftsrätin der österreichischen Vertretung in Peking. "Produkte, die am westlichen Markt Standard sind, müssten für den chinesischen Markt mitunter adaptiert werden." Als Beispiel nennt Murr Kühlvitrinen. Jene mit westlichem Standard seien für den Markt in China zu teuer. Also habe ein heimisches Unternehmen vor Ort einen Partner gefunden, um mit anderen Komponenten die Vitrinen dort billiger anbieten zu können.

Zu den Überlegungen, was man zu welchem Preis verkaufen kann und will, "kommt auch die Frage, wie man sein Produkt absichert", ergänzt Murr. Da hat China Eigenheiten für Investoren auf Lager: Man kann durch die Anmeldung eines Patents sein Produkt zwar schützen, "allerdings sind Produktdetails damit einsehbar, weswegen die Patentierung oftmals überlegt wird", sagt Murr.

Umgang mit Lizenzen

Im Bereich Forschung und Entwicklung gilt: Wird die Forschung von staatlichen chinesischen Geldern gefördert, muss der erste Lizenznehmer in China sein. Die Idee, in der Volksrepublik billig zu forschen, um im Westen mit den Produkten viel Geld zu verdienen, gehe nicht auf, sagt Murr. Erst danach kann eine Lizenz für andere Märkte eingesetzt werden. Und: Erfindungen, die in China gemacht werden, müssen dort patentiert werden. Das sichert den Chinesen das Know-how.

Im Fall der Zahlungsunfähigkeit eines lokalen Handelspartners könne man diesen auch nicht in Konkurs schicken. "Ein Konkurs muss von der lokalen Regierung genehmigt werden", sagt Sandrieser. Daher sollten Unternehmen vor Ort keine Schulden ohne Absicherung eingehen. "Als Gläubiger hängt man schnell in der Luft", sagt Sandrieser.

"Auch die Umweltauflagen sind mittlerweile deutlich gestiegen", sagt Murr - Chinas Oberster Gerichtshof hat nun erstmals ein Umwelttribunal eingerichtet, das künftig über Umweltprozesse im Land wachen soll. Bisher seien viele Fälle von lokalen Gerichten abgewiesen oder nicht ausreichend behandelt worden. Ab 2015 dürfen die Behörden auch höhere Strafen gegen Umweltsünder verhängen. "Auch die Energiekosten haben deutlich zugenommen", ergänzt Sandrieser.

Chance in der Nische

Wo also lauern noch Chancen in China? Michael Sikora von ABC Automotive Business Consulting, sieht diese in Nischen. Gefragt sei alles, was mit Mobilität zu tun hat, Verbesserung der Umweltsituation und der Infrastruktur. Bodensanierung etwa sei ein großes Thema. Auch die Flugzeugindustrie entwickelte sich zunehmends. "China ist heiß auf Technologie", ergänzt Murr. Alles, was sich um Automatisierung und Verbesserung der Qualitäts- und Lebensmittelstandards drehe, sei gefragt.

Hinzu kommen Luxusgüter, sagt Sikora, der seit zehn Jahren in China lebt und Unternehmen auf ihrem Weg dorthin berät. Nach den BMWs und Audis kaufen reiche Chinesen nun Porsches, Yachten und Privatflugzeuge.

Nicht jedes Service funktioniert

Wer den Schritt wagt, für den stellt sich auch die Frage, wie ein Betrieb vor Ort zu organisieren ist. Die meisten werden als 100-Prozent-Tochter gegründet, was seit Mitte der 1990er-Jahre möglich ist. Zu bedenken ist, dass Services, die man aus Europa gewohnt ist, in China nicht so funktionieren. Sikora nennt als Beispiel das Internet, das in bestimmten Bereichen blockiert ist. Das kann den Datentransfer zum Mutterkonzern verkomplizieren. Eine Dropbox etwa - um den Zugriff auf Dokumente zu erleichtern - kann nicht eingerichtet werden.

Sandrieser rät, sofern es möglich ist, mit einem Pilotprojekt zu starten. Auch Lenzing habe so begonnen. Dann folgte die Handelstochter, um die importierte Ware zu vertreiben. Seit 2007 betreibt man die eigene Produktion.

Loyalität und Beziehungen

Uneins sind sich die Experten beim Thema Loyalität gegenüber dem Arbeitgeber. Für Gradt ist die Treue zum Arbeitgeber nicht vorhanden. Eine Fluktuationsrate von 30 Prozent und mehr sei in Betrieben nichts Ungewöhnliches. Wer anderswo mehr verdienen kann, wechselt. Das ist auch der Grund, warum Betriebe vorsichtig sein sollten bei der Einbindung lokaler Arbeitskräfte in heikle Prozesse, weil firmeninternes Wissen rasch abwandern kann. "Es gibt zwar Klauseln in Arbeitsverträgen, die Durchsetzbarkeit vor Gericht ist aber schwierig", sagt Gradt. Zudem fehle es oft auch an ausgebildeten Fachkräften.

Für Sikora hat sich die Loyalität zuletzt verbessert, "weil gute Jobs auch nicht mehr auf der Straße liegen". Junge Leute seien zunehmend gut gebildet, könnten mehrere Sprachen, seien in der Welt herumgereist und haben ein anderes Bild als Wanderarbeiter, die einfach einen Job suchten.

Wichtige Beziehungspflege

Am Ende hilft aber auch der beste Marktüberblick nicht viel. Denn ohne "Guanxi" läuft in China nichts. Guanxi steht für "Beziehungen" und meint das persönliche Netzwerk vor Ort. Mit Geschäftspartnern essen zu gehen reiche da nicht aus, sagt Murr, die seit fast zwanzig Jahren in China lebt. "Die Beziehung beginnt sich zu entwickeln, wenn man die Chance hat, jemandem zu helfen", sagt Murr. Dazu gehörten auch nichtunternehmerische Tätigkeiten wie die Hilfe bei einer Reise nach Österreich. Erst dann ließen die Chinesen auch ihre Beziehungen spielen, was bei Behördengängen und bürokratischer Arbeit von großem Vorteil sein kann.

Neben Guanxi braucht es auch gutes Gespür: "Keiner sagt offen, dass er ein Geschäft nicht machen will", sagt Murr. Wer nicht erkenne, dass aus einer Idee nichts werde, verbrenne Zeit und Energie. (Bettina Pfluger, DER STANDARD, 4.7.2014)