Das Stadtzentrum von Kaliningrad (Archivbild 2011). Regionalpolitiker schlagen im Zusammenhang mit der Ukraine-Krise Alarm, man fürchte einen "neuen Maidan".

"Über Polen und Litauen kommen viele muskulöse Burschen aus der Ukraine in die Region. Sie sind alleinstehend, ohne Familie und suchen hier Arbeit eines bestimmten Typs: Sie wollen hier einen Maidan anstiften", sagte Nikolai Zukanow bei einem Treffen mit Jugendorganisationen der Region. Seinen Worten nach wird diese Bewegung gezielt von westlichen Geheimdiensten gesteuert.

Über die Anzahl der vermeintlichen Umstürzler machte Zukanow keine Angaben. Er versicherte aber, dass die Kaliningrader Sicherheitsorgane die Lage genau beobachteten und unter Kontrolle hätten.

"Belagerte Festung"

Während die südrussischen Regionen, speziell Rostow-am-Don, und die im März nach einem umstrittenen Referendum Russland beigetretene Halbinsel Krim tatsächlich unter einem wahren Flüchtlingsstrom leiden, galt das 600 Kilometer Luftlinie und zwei Staatsgrenzen von der Ukraine entfernte Kaliningrad bisher nicht als bevorzugte Zielrichtung. Offiziellen Angaben nach sind in den ersten vier Monaten lediglich 146 Ukrainer eingereist. Selbst in der abgeschiedenen Westprovinz Russlands mit insgesamt rund einer Million Menschen dürfte dies kaum ins Gewicht fallen.

Dennoch ist Zukanow nicht der einzige Regionalpolitiker, der Alarm schlägt. Auch der Vizepremier der Gebietsregierung Michail Pljuchin vermeldete einen Zustrom junger Ukrainer, die in den letzten Monaten über die polnische Grenze nach Kaliningrad kämen. "Einige von ihnen verbergen ihre Zugehörigkeit zu den Kiewer Maidan-Hundertschaften nicht sonderlich", sagte er. Er vermutete, die Männer sollten dazu benutzt werden, die Situation im ehemaligen Ostpreußen anzuheizen. Es gebe politische Kräfte in den Nachbarländern, die Kaliningrads rechtmäßige Zugehörigkeit zu Russland anzweifelten, klagte Pljuchin.

Der Moskauer Politologe Nikolai Petrow bewertet die Aussagen als Versuch, die "Atmosphäre einer belagerten Festung" zu schaffen, die es um jeden Preis gegen äußere Feinde zu verteidigen gelte. Sein Kollege Gleb Pawlowski vermutet, die Kaliningrader Führung ziele auf mehr Geld aus Moskau ab - für Sicherheitsmaßnahmen.

Empfindlicher Nerv

Zukanow hat in jedem Fall einen empfindlichen Nerv im Kreml getroffen. Russlands Präsident Wladimir Putin hat erst vor wenigen Tagen die Ereignisse in der Ukraine als vom Westen inszenierten Versuch einer "Eindämmungspolitik" gegenüber Russland bezeichnet, während er zuvor die russische Opposition als "fünfte Kolonne" geißelte.

Einem Revolutionsexport hat der Kreml aber lange vorgebeugt: Schon nach den Protesten 2012 wurde das Demonstrationsgesetz verschärft. Im Zuge der Ukraine-Krise hat die Duma die Strafen für nichtgenehmigte Kundgebungen nun noch einmal erhöht. Zugleich hat die Duma kurz nach dem Übertritt der Krim auch die Strafen für Aufrufe zum Separatismus in Russland verschärft.

Eine echte Abspaltungsbewegung gibt es in Kaliningrad freilich nicht. Dafür gilt die Region als eine der politisch aktivsten. Zukanows Vorgänger Georgi Boos musste 2010 nach Massendemonstrationen seinen Posten räumen. Zukanows Äußerungen könnten also auch einfach politische Vorsorge um sein Amt sein. (André Ballin aus Moskau, DER STANDARD, 4.7.2014)