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Mit den Mondphasen hat Schlafwandeln nichts zu tun.

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Schlafwandler haben keine Kontrolle über ihren Körper - das macht Angst, so Wolf Müllbacher.

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Nur 3 Prozent der Erwachsenen, aber ganze 30 Prozent der Kinder sind Schlafwandler. Die meisten von ihnen spazieren schlafend in ihren eigenen vier Wänden - aber immer wieder hört man von weitaus spektakuläreren Fällen. Selbst Morde haben Schlafwandler schon begangen, erklärt der Neurologe Wolf Müllbacher.

derStandard.at: Die meisten Schlafwandler gibt es wohl in Horrorfilmen. Gibt es die im wahren Leben auch?

Müllbacher: Schlafwandler sind uns unheimlich, weil die Motorik mit dem Körper durchgeht und Schlafwandler keine Kontrolle mehr über sich haben. Der Körper wandelt zwar herum, ist aber seiner restlichen Sinne beraubt. Dieses Umhergehen und dieses Nicht-Kontrollieren-Können ist das, was den Menschen Angst macht.

derStandard.at: Was passiert bei Schlafwandlern im Gehirn?

Müllbacher: Es ist eine Störung, bei der das Gehirn nicht als Ganzes erwacht, sondern einige Areale noch schlafen. Von Tierversuchen weiß man, dass das ein Spiegel ist vom Zustand der völligen Übermüdung. Da funktionieren auch einige Teile des Gehirns nicht mehr richtig: Wir können nicht mehr rechnen, werden immer unkonzentrierter, weil Teile des Gehirnareals schon schlafen. Man handelt wie ferngesteuert. Das ist beim Schlafwandeln sehr ähnlich.

derStandard.at: Wer wird zum Schlafwandler?

Müllbacher: Ganz genau weiß man es nicht. Aber nachdem das bei Kindern viel, viel häufiger ist als bei Erwachsenen, geht man davon aus, dass es auch ein Ausdruck der Reifung des Gehirns sein kann. Zwischen Wachsein und Schlafen gibt es einen ganz komplexen Regelkreis - und der muss erst gelernt werden. Das Nervensystem muss reifen, damit es in der Nacht auch Kontrolle über die Motorik hat. Wenn das noch nicht so funktioniert, dann kann es passieren dass dieses System aufwacht, während der Rest noch schläft.

derStandard.at: Welche Rolle spielt die Genetik?

Müllbacher: Es gibt ein Chromosom 20, dort erkennt man bei Schlafwandlern Veränderungen. Das wird autosomal dominant vererbt. Schlafwandeln tritt also familiär gehäuft auf. Wenn beide Eltern das Chromosom haben, dann ist die Wahrscheinlichkeit überdurchschnittlich hoch, dass das Kind auch schlafwandelt.

derStandard.at: Immer wieder hört man ja auch von extremen Fällen, in denen Schlafwandler Morde begehen. Ist das wirklich möglich?

Müllbacher: Soviel ich weiß, ist der Kanadier Kenneth Parks der einzige, der nach einem Mord freigesprochen wurde, weil er schlafgewandelt hat. Er ist erst 23 Kilometer mit dem Auto gefahren, hat dann seinen Schwiegervater stranguliert und die flüchtende Schwiegermutter mit dem Küchenmesser erstochen.  Das ist ein bisschen dubios, muss man offen sagen. Ganz eindeutig war das nicht, aber so war 1992 die Rechtssprechung. Es kann aber schon sein dass Schlafwandler sehr komplexe Handlungen machen. Ich kenne einen Mann, der im Schlaf die Socken sortiert hat. Dann kenne ich jemanden, der die Wohnzimmergardinen heruntergerissen hat, weil er ein Segler war und gemeint hat, er muss jetzt die Segel hissen. Es gibt aber auch Schlafwandler, die außerhalb der Wohnung unterwegs sind. Da kommen wir in einen Grenzbereich.

derStandard.at: Warum?

Müllbacher: Wenn das im Alter das erste Mal auftritt, dann muss man eine neurologische Erkrankung ausschließen. Es gibt Formen von Epilepsie, die genauso ausschauen. Bei einer Abklärung filmen wir den Patienten in der Nacht mit einer Infrarot-Kamera, um zu sehen, was er tut, und währenddessen registrieren wir im EEG die elektrische Aktivität des Gehirns. So kann man überprüfen, ob das ein normales Schlafwandeln ist oder eine Epilepsieart, die nur ausschaut wie Schlafwandeln.

derStandard.at: Rund um das Schlafwandeln gibt es viele Mythen. Da wäre einmal die schlafwandlerische Sicherheit... 

Müllbacher: Nein, die gibt es nicht. Immer wieder fallen Schlafwandler vom Balkon oder aus dem Fenster. Die Leute machen Sachen ohne Kontrolle, fast so wie ein Kleinkind im Straßenverkehr.

derStandard.at: Dann wird Schlafwandeln auch mit dem Mond in Verbindung gebracht.

Müllbacher: Früher hat man es daher Mondsucht genannt. Der Mond und die unterschiedlichen Mondphasen haben damit aber nichts zu tun.

derStandard.at: Was kann man gegen das Schlafwandeln tun?

Müllbacher: Grundsätzlich rate ich zur Schlafhygiene. Das heißt, dass man regelmäßig zur gleichen Zeit ins Bett geht, Schlafentzug vermeidet. Auch Alkohol sollte vermieden werden, weil er die Tiefschlafphasen, in denen Schlafwandeln auftritt, verändert und die  Fragmentierung des Schlafes fördert. Auch Stress soll man vermeiden, weil man dadurch auch noch unruhiger schläft.

derStandard.at: Gibt es auch Medikamente?

Müllbacher: Damit sollte man sehr zurückhaltend sein. Leichte Schlafmittel können schon hilfreich sein, aber alles was die Tiefschlafphase beeinflusst, beeinflusst natürlich auch das Schlafwandeln.

derStandard.at: Wie geht man mit einem Schlafwandler am besten um?

Müllbacher: Wenn Sie einen Schlafwandler aufwecken, dann kann er schon unwirsch oder aggressiv reagieren, aber das ist nicht die Regel. Man kann Schlafwandler ganz vorsichtig zurück ins Bett zurück begleiten.

derStandard.at: Noch einmal zurück zu Kenneth Parks: Wie wahrscheinlich ist es, dass die Persönlichkeit eines Schlafwandlers sich so von der des wachen Menschen unterscheidet?

Müllbacher: Die Persönlichkeit, die Sie sind, sind Sie ja nur, wenn sie wach und Herr aller Sinne sind. Bei Kenneth Parks waren eben nur Teile seiner Persönlichkeit wach. Die Motorik ist da, aber die Persönlichkeit schläft eigentlich. (Franziska Zoidl, derStandard.at, 5.7.2014)