Die Preisfestsetzung bei Gold und anderen Finanzanlagen erfolgt oft intransparent in kleiner Runde.

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Ein Wiener sucht wenige Wochen vor seiner Trauung nach den richtigen Eheringen. Sie sollen golden, aber nicht zu teuer sein. Er klappert einen Juwelier nach dem anderen ab und feilscht mit den Verkäufern um Prozente. Was er nicht weiß: Bei jedem seiner Gespräche sitzen vier Londoner Banker dabei. Sie sind unsichtbar, aber wie immer präsent, wenn es um Gold geht. Auf den Visitenkarten der vier steht Scotiabank, HSBC, Barclays und Société Générale.

Wenn ein Juwelier Schmuck verkauft oder eine Notenbank den Wert ihrer Goldreserven schätzt, müssen sie sich an einem Referenzpreis für den Rohstoff orientieren. Dazu dient seit 95 Jahren das Londoner Goldfixing, bei dem der internationale Goldpreis ermittelt wird. Zweimal am Tag, um 10.30 und 15.00 Uhr Londoner Zeit, tauschen sich Vertreter der vier Geldhäuser - bis Mai war die Deutsche Bank als fünftes Institut dabei - über den Goldpreis aus.

Hohe Strafen

Bis vor zehn Jahren fanden die Treffen in einem Hinterzimmer des Bankhauses Rothschild statt, heute wird per Telefon verhandelt. Die Banker sollen Kauf- und Verkaufsorder abgleichen, bis der Preis pro Goldbarren feststeht.

Der Haken dabei: Das Fixing wurde manipuliert. Die britische Barclays wurde im Mai zu einer Strafe von 32 Millionen Euro verdonnert. Ein Barclays-Mitarbeiter hatte im Juni 2012 fingierte Kauforders abgegeben, damit der Goldpreis um ein paar Cent steigt. Damit ersparte sich die Bank eine Millionenzahlung an einen Kunden, der auf einen fallenden Goldkurs gesetzt hatte.

Einladung zur Manipulation

Nachdem Barclays aufgeflogen war, begannen Aufseher und Wissenschafter näher hinzusehen. Sie wurden in großem Stil fündig. Im Jänner legte die New Yorker Ökonomin Rosa Abrantes-Metz eine Studie vor, wonach der Goldpreis seit Jahren systematisch manipuliert wurde. Viele plötzliche Preissprünge rund um 15.00 und 10.30 Uhr seien nur mit Tricksereien zu erklären, schrieb sie. "Das intransparente Verfahren lädt geradezu zum Betrug ein", sagt Abrantes-Metz heute. Nach der Londoner Aufsichtsbehörde FCA leitete auch die deutsche Finanzaufsicht BaFin Ermittlungen ein. Inzwischen steht fest, dass das Verfahren nicht zu halten ist. Heute, Montag, treffen sich in London Goldminenbetreiber, Banker und Aufseher auf Einladung des World Gold Council, einer Lobbyorganisation, um einen neuen Modus für die Preisfestlegung auszuhandeln.

Allerdings trifft jede Reformidee auf Skepsis. Denn das Vertrauen in Richtpreise, also Benchmarks, die von Banken festgelegt werden, ist nach einer Reihe von Skandalen zerstört. Manipulationen gab es nicht nur bei Gold, sondern auch am Zins- und Devisenmarkt sowie beim Silberhandel.

"Derzeit gibt es keine einzige Benchmark, die nicht manipulationsanfällig ist", sagt Ökonomin Abrantes-Metz. Die bisher umgesetzten Reformen helfen kaum. Was sie meint, lässt sich am Beispiel des bisher größten Betrugsfalls rund um den Libor erklären. Der Libor ist ein Zinssatz, zu dem Banken in London einander Geld leihen. Er dient - wie der Euribor in der Eurozone - in Millionen von Kreditverträgen als Referenzwert für Zinshöhe.

Zerstörtes Vertrauen

Wie sich herausstellte, haben mehrere Banken die Referenzwerte manipuliert. Die Sache war einfach: Beide Werte werden durch Befragungen bei einigen wenigen Banken ermittelt ("Zu welchem Zinssatz könnten sie sich Geld leihen?"). Die Kreditinstitute mussten nur falsche Angaben machen.

Als Folge des Betrugs wurden allein in der EU Strafen von insgesamt 1,7 Milliarden Euro gegen sechs Banken verhängt. Zugleich setzte ein Reformprozess ein. Bisher zielt er aber nur darauf ab, die eklatantesten Interessenskonflikte zu beenden. So war für die Kontrolle des Libor bisher die britische Bankenlobby selbst zuständig, seit Februar hat ein US-Börsenbetreiber übernommen. Beim Euribor geschah nicht einmal das, hier liegt die Verantwortung weiter bei Europas Bankenverband.

Das weiter ungelöste Hauptproblem ist aber ohnehin, dass sowohl Euribor als auch Libor allein auf Befragungen beruhen und daher nicht vertrauenswürdig sind, sagt Abrantes-Metz. Sie empfiehlt stattdessen, tatsächlich getätigte Transaktionen an den Märkten elektronisch zu erfassen. Der Computer soll in Zukunft Durchschnittspreise ausspucken.

In diese Richtung will auch die Goldindustrie: Beim Treffen in London soll ein System zur digitalen Erfassung der Goldkäufe ausgearbeitet werden. Werden damit Manipulationen unwahrscheinlicher? Der deutsche Finanzwissenschafter Hans-Peter Burghof ist skeptisch. Für ihn sind die aufgeflogenen Skandale im Kern ein Wettbewerbsproblem.

Computer sollen übernehmen

Egal ob Gold oder Zinsen, egal ob elektronisch oder manuell: Es sei immer eine kleine Gruppe von marktbeherrschenden Banken, die für Finanzprodukte die Preise macht. Bei Manipulationen profitiert der kleine Kreis. Alle anderen verlieren. Durch die immer strengere Bankenregulierung - Stichwort höhere Kapitalanforderungen - werde sich das Problem weiter verschärfen, "weil immer mehr Kreditinstitute verschwinden", sagt Burghof. Nur mehr Wettbewerb schaffe mehr Sicherheit.

Die größte Untersuchung in Europa scheint seine These zu stützen. Derzeit gehen Behörden dem Verdacht von Manipulationen am Währungsmarkt nach. Der Informationskonzern Thomson Reuters ermittelt auf Basis realer Transaktionen in einem 60-Sekunden-Fenster die wichtigsten Devisenkurse. Der Kurs ("WM/ Reuters-fix") dient Versicherungen und Fonds dazu, den Wert ihrer Anlagen in verschiedenen Währungen zu bestimmen.

Händler sollen Geschäfte, etwa den Verkauf von Euro, in das Zeitfenster platziert haben, um die WM/Reuters-Kurse zu manipulieren. Schon mit Mini-Ausschlägen ließ sich viel verdienen. Am Währungsmarkt gibt es zwar hunderte Akteure, ihn kontrollieren aber nur einige wenige Finanzdienstleister. Laut Untersuchungen entfallen allein auf Deutsche, UBS, Citigroup und Barclays 50 Prozent aller Devisentransaktionen. (András Szigetvari, DER STANDARD, 7.7.2014)