In den laufenden Debatten um die Bundeshymne geht es nicht zuletzt auch um die Möglichkeiten und Grenzen, in Texte einzugreifen. Man muss sich den Kontext bewusst machen – und der mag im Übrigen durchaus auch ironischer oder satirischer Natur sein. Erst dann wäre zu überlegen, ob das Geschriebene zu ergänzen oder zu eliminieren ist - oder zu verdammen.

Auftritt Harald Martenstein, Spezialist im "Zeit-Magazin" für das Aufspüren und Vorführen politischer Überkorrektheit. Im Heft vom vergangenen Donnerstag schreibt er, dass der Studentinnenrat der Uni Leipzig, "Referat für Gleichstellung, Lebensweisenpolitik und Tralala" (O-Ton Martenstein) einem Deutschen schwarzer Hautfarbe einen Negativpreis für besonders schlimmen Rassismus verliehen hat.

Warum? Marius Jung hat ein Buch darüber geschrieben, wie man als schwarzer Deutscher in dem Land lebt; er hat es "Singen können die alle! Handbuch für Negerfreunde" genannt; er – oder der Verlag – hat das Buch noch mit einem provokant klischeehaften Cover versehen; und er hat – wohl vergeblich –  damit gerechnet, dass Leser mit dem Prinzip der Ironie vertraut sind.

Martenstein meint, die Leipziger "Gendergenies" hätten ein Bildungsproblem, weil sie offenbar komplett ironieresistent seien und weil man überdies in der Schule nichts mehr über die Relativität und Zeitgebundenheit von Texten lerne.

Was nicht heißen soll, dass man ausgerechnet den Text der Bundeshymne unangetastet lassen soll. (Man könnte ihn im Gegenteil sogar ganz weglassen, wie es die Spanier halten; nachzulesen bei Eva Linsinger im neuen "Profil".) Aber – wenn wir einen weiteren Schritt zurück in die Geschichte machen – das Herumwerkeln an literarischen Texten bleibt problematisch. Vor drei Jahren ging es in den USA Mark Twains "Huckleberry Finn" an den nicht ausreichend sauberen Kragen: 219-mal wurde das sogenannte N-Wort in einer Neufassung durch "Sklave" ersetzt.

Das war ein gefundenes Fressen für den TV-Satiriker Jon Stewart. Er brachte das Wort auch nicht über die Lippen und überließ es seinem Gast, dem schwarzen Autor und Produzenten Larry Wilmore, Tacheles zu reden: "Ein tolles Upgrade: vom Nigger zum Sklaven!"

Mark Twain habe das Wort aus gutem Grund und in der richtigen Absicht verwendet, nämlich um die Dinge beim Namen zu nennen und auf die Situation des Afroamerikaners Jim, der sich mit Finn und Tom anfreundet, zu verweisen. "‚Sklave‘ war ja nur eine Job-Description“, sagte Wilmore. "Außerdem war er ja entlaufen und gar kein Sklave mehr“ – also ist die Verschlimmbesserung der besorgten Pädagogen auch noch faktisch falsch.

Wie man’s dreht und wendet, bei Texten, egal ob vor fünf oder vor 100 und mehr Jahren geschrieben, sollte man aufpassen, bevor man sie gerade herrschenden Sensibilitäten anpasst und damit ihren ursprünglichen kulturellen Stellenwert kaschiert. (Michael Freund, DER STANDARD, 7.7.2014)