Die Arbeiten von Christian Hutzinger ...  

Foto: Courtesy Christian Hutzinger © Bildrecht, Wien 2014

... und Hildegard Joos eint das Wesenhafte ihrer abstrakt-geometrischen Formen. Vor klaren Hintergründen liest man diese als Piktogramme.

Foto: Bildrecht, Wien 2014

Linz / St. Pölten / Wien - Eine kleine Parade aus blauen Dreiecken promeniert am unteren Bildrand - dort, wo manchmal auch Halme sprießen oder Würmer mit Stachelfrisuren ihre Hälse recken. Darüber ein quirliges Durcheinander aus Rauten, Ellipsen, Dreiecken, Kreisen und Kreissegmenten. In manchem meint man Windräder oder Papierdrachen zu erkennen, Sterne, Raketen, Raumschiffe, aber auch Tintenfische oder U-Boote. Ein Kosmos der Lüfte oder der Meerestiefen öffnet sich dem Betrachter. Denn schwerelos - ganz ohne räumlichen Halt - hängen die Elemente auf den malerisch aufgelösten Oberflächen.

"Wenn die Elemente schweben, werden sie zu Wesen", sagt Harold Joos 1984 in einem Filmbeitrag über die Serie der Narrativen Geometrismen, die er gemeinsam mit seiner Frau Hildegard Joos in den 1980er-Jahren schuf. Das Paar signierte ab 1982 mit H+H Joos, weil Harald Schenker den Künstlernamen Harold Joos annahm. Geheiratet haben beide allerdings erst 2003, nach über 50 Jahren gemeinsamen Lebens und Arbeitens. Die Ergebnisse ihres kollektiven Schaffens sind aktuell in drei Ausstellungen zu sehen: im Lentos in Linz (gemeinsam mit Christian Hutzinger), im Landesmuseum St. Pölten (mit Christa Hauer und Susanne Wenger) und in einer von der Galerie Suppan im Künstlerhaus organisierten Retrospektive.

In erwähntem Film, der 1984 anlässlich einer Ausstellung aktueller Werke im Museum moderner Kunst entstand, erklärt der damals 71-jährige Harold Joos weiter, die "geistige Resonanz alles Runden ist sanft", die Dreiecke seien hingegen aggressiv.

Es ist meist Harold Joos, der hier in Worte kleidet, was die gemeinsamen Bilder ausmacht. Hildegard Joos (1909-2005) ist leiser. Sie sei im Informel zu Hause, habe aber zur festen Form finden wollen. "Darin war ich schwach", erzählt sie und wirkt trotz ihrer 75 Jahre neben ihrem Partner, dem Schweizer Philosophen, dem sie 1948 Malunterricht gab, jungmädchenhaft. Und: "Ich bin emotionell, wollte aber das, was ich nicht konnte - das Formelle. Diese Vernunft hat Harold eingebracht."

Ratio und Emotion - das Geheimnis ihrer Zusammenarbeit - treten wohl in keiner anderen Bildserie so deutlich zutage wie in den Narrativen Geometrismen: piktogrammartige Wesen, kleine Quarks und Elementarteilchen, die verspielte Geschichten der Evolution erzählen. Es ist das Figürliche im Abstrakten, das Molekulare der Formfindungen, das die Verbindung zum 1966 geborenen Christian Hutzinger herstellt, dem Joos'schen Doppelpartner im Lentos. Hutzingers Formenspiel ist aber weder abstrakt noch gegenständlich - siedelt vielmehr in einem Dazwischen. Vielmehr isoliert er Elemente aus ihren Zusammenhängen, gibt ihnen einen eigenen Charakter und entwickelt diesen weiter. Auch seine Piktogramme gleichen Wesen.

Drastische Wende

Wie enorm der Einfluss Harold Joos' gewesen sein muss, wird zwar in der großen (trotzdem allein nach Hildegard Joos benannten), etwas mehr Luft zwischen den Bildern vertragenden Retrospektive der Galerie Suppan nicht explizit herausgearbeitet, aber er ist zumindest ablesbar. Spät zur Kunst gekommen, sind die ersten Bilder von Joos spätexpressionistisch, figurativ, mit spirituellen, religiösen Inhalten.

Erst als der Gedankenaustausch mit ihrem zweiten Mann begann, sie 1959 gemeinsam nach Paris gingen, Auseinandersetzungen mit Paul Klee, Piet Mondrian und Max Bill folgten, nahm ihr Werk diese drastische Wende: hin zu einer konkret-konstruktivistischen Abstraktion. Beginnend mit farblich nahezu monochromen, weißen Zellenbildern, über Colourfield-Painting- und Op-Art-Phasen bis zu den Narrativen Geometrismen und späten Rasterbildern.

Vermutlich wird man nie genau erfahren, wie die Zusammenarbeit der beiden im Detail ausgesehen hat. Trotzdem gebührt beiden Anteil an den Bildern. Man trat als Künstlerpaar auf, dem wäre entsprechend Rechnung zu tragen. (Anne Katrin Feßler, DER STANDARD, 8.7.2014)