Wien - Sinkende Obduktionszahlen in Wien ermöglichen "Schlupflöcher bei der Erkennung und Aufklärung kriminell verursachter Todesfälle". Davor warnte die Wiener Ärztekammer am Dienstag. Außerdem fehlen weiterhin Ausbildungsplätze, hieß es in einer Aussendung. Wenn es so weitergehe, werde die Gerichtsmedizin in Wien "an die Wand gefahren", sagte Hermann Leitner, Vizepräsident der Ärztekammer für Wien.
"Trotz mehrfacher Warnungen ist nach wie vor keine Lösung erkennbar", kritisierte Leitner, der auch Obmann der Kurie angestellte Ärzte ist. Gerade die Wiener Gerichtsmedizin könne auf eine lange und erfolgreiche Tradition zurückblicken. Es sei eine Schande, wenn diese Tradition nun verloren ginge, "einzig und allein aufgrund der Tatsache, dass die Verantwortlichen es nicht schaffen, sich an einem Tisch zu setzen und miteinander zu reden", so der Ärztekammer-Vertreter.
Fehlende Ausbildungsplätze
Das Problem seien unter anderem die fehlenden Ausbildungsplätze für Gerichtsmediziner, "wodurch die Heranbildung des ärztlichen Nachwuchses in diesem Bereich unmöglich gemacht wird". Es sei "ein Skandal, dass sich in den letzten Jahren nichts in diesem Bereich geändert hat", betonte der Kurienobmann. Man müsse hier bereits von einer "Dauerbaustelle" reden.
Die Wiener Ärztekammer forderte einmal mehr einen runden Tisch mit Vertretern von Innen-, Justiz- und Wissenschaftsministerium sowie der Stadt Wien, um "raschest Maßnahmen zu setzen, die eine funktionierende Gerichtsmedizin in Wien auf lange Sicht sicherstellen".
MedUni legt Zahlen vor
Die MedUni Wien hat der Befürchtung der Ärztekammer am Dienstag statistisches Zahlenmaterial entgegen gehalten. Demnach ist die Anzahl der gerichtlichen Obduktionen in den vergangenen Jahren nicht signifikant zurückgegangen.
2012 (aktuellere Zahlen sind nicht vorhanden) haben in der Bundeshauptstadt 667 gerichtliche Obduktionen stattgefunden, davon 503 am bzw. durch das Department für Gerichtliche Medizin (DGM). 2004 waren es 648, davon 554 am bzw. durch das DGM. In den dazwischen liegenden Jahren sind im Auftrag der Justiz lediglich drei Mal mehr Obduktionen als 2012 vorgenommen worden, wobei die Anzahl mit einer Ausnahme (2011 waren es 717) jeweils nur geringfügig über dem Wert von 2012 lag.
Einen deutlichen Rückgang hat es demgegenüber bei sanitätsbehördlichen Obduktionen gegeben. Seit diese nicht mehr in die Zuständigkeit des DGM fallen, haben sich diese auf fast ein Drittel reduziert. Während 2004 in diesem Bereich 1.425 Leichen geöffnet wurden, waren es 2012 nur mehr 510. Die Gerichtsmedizin ist seit 2008 nicht mehr mit sanitätsbehördlichen Obduktionen betraut. Diese werden seither von direkt bei der Gemeinde Wien angestellten Pathologen durchgeführt.
Personalnotstand anerkannt
Dass das DGM personell unterbesetzt ist, räumt man seitens der MedUni durchaus ein. Nach zwei jüngst erfolgten Pensionierungen sind dort nur mehr drei Gerichtsmediziner beschäftigt. Krankheitsbedingte Ausfälle wären bei diesem Personalstand vor allem für Staatsanwaltschaft und Gericht fatal: Die für die Justiz unverzichtbare gerichtsmedizinische Tätigkeit bei der Klärung von Todesursachen würde sich in der bisher gewohnten Form kaum mehr aufrechterhalten lassen.
"Es gibt keine Möglichkeit, mehr Personal aufzunehmen", sagte Johannes Angerer, der Sprecher der MedUni Wien, dazu der APA. Das, was die Justiz für Obduktionen im Dienst der Gerichtsbarkeit refundiere, reiche nicht aus, um Forschung, Lehre und den Betrieb aufrechtzuerhalten. Die MedUni begrüße daher die Forderung der Ärztekammer nach einer "politischen Lösung", was die finanzielle Dotierung des DGM betrifft, so Angerer. (APA, 8.7.2014)