Darf die Postkarte auch von zu Hause kommen?

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Pro
Von Christoph Winder

Vom französischen Soziologen Pierre Bourdieu stammt der schöne Begriff des "Distinktionsgewinns". Sich von oben herab von seinen Mitmenschen abzusetzen, bereitet große Lust, ist aber nicht so einfach. Vor ein paar Jahrzehnten konnte man in Urlaubszeiten die sogenannten "Daheimgebliebenen" noch mächtig beeindrucken, indem man ihnen Grüße aus exotischen Destinationen schickte.

Heute, in der Ära des avancierten Massentourismus, wo jeder eh schon überall gewesen ist, entlarvt man sich durch den angeberisch gemeinten E-Mail-Gruß aus Hinterindonesien sofort als unmoderner Plempel und Trampel der Sonderklasse.

Der wirklich geschliffene Charakter hingegen versendet Postkarten von zu Hause, um Freunde und Bekannte sozial zu demütigen. Denn mit der Postkarte trifft zugleich die Botschaft ein: Wisset, dass ich es im Gegensatz zu euch unkultivierten Koffern nicht nötig habe, mich im Urlaub in einen Billigflieger zu quetschen. Ich bleibe lieber in meinem geschmackvollen Domizil und lese ein gutes Buch.

Kontra
Von Doris Priesching

Postkarten habe ich zum letzten Mal im Grundschulalter verfasst. Ich war davon überzeugt, dass sich die Teilnahme bei Preisausschreiben lohnt, und schickte Mittwoch für Mittwoch das meistens sehr ordentlich gemalte, faktisch immer richtige Lösungswort an: Kasperlpost, Würzburggasse 30, 1130 Wien. Überflüssig zu sagen, dass der Kasperl sich um meine Grüße nicht den Teufel scherte. Ich gewann nie, was ich als Tatsache sehr früh zu akzeptieren lernte.

Postkarten sind in diesem Sinne so überflüssig wie die Kasperlpost. Vor allem aber sind sie aus der Zeit, und kein Retroschick der Welt wird sie wieder attraktiv machen können. Das liegt daran, dass gerade ganz viel Überflüssiges ausgestoßen, gemailt und gepostet wird, weshalb ein weiterer Allgemeinplatz der nutzlosen Mitteilungen entbehrlich ist.

Ob sie aus der Ferne gesandt werden oder aus den eigenen Räumlichkeiten, spielt keine Rolle. Wer etwas zu sagen hat, sollte versuchen, die Worte an die Person vor sich zu richten. Es muss ja nicht gleich der Kasperl sein. (Rondo, DER STANDARD, 11.7.2014)