Wien - Das eigentliche Jazzprogramm des Jazzfests Wien hat sich in den 23 Jahren seit der Gründung von Volkstheater und Kammeroper immer mehr an jene Stätten verlagert, die auch während des Jahres für die Nahversorgung mit einschlägigen Klängen zuständig sind: in die Clubs. 2014 waren Miles Smiles, Jazzland und Porgy & Bess jene Festivalorte, an denen es nicht - wie in der Staatsoper - gilt, mittels möglichst prominenter Namen ein großes, vielleicht für ein Jazzfestival zu großes Auditorium zu füllen.
In der Staatsoper werden ja ob des selbst auferlegten Drucks der Publikumsmaximierung Fragen der Qualität und Programm-Kompatibilität nachrangig behandelt. Vor allem im Porgy & Bess, im international renommierten Club, konnte man jedenfalls erneut mit spannenden und entdeckenswerten musikalischen Positionen aufwarten.
Hier bot sich etwa die Gelegenheit zur Erstbekanntschaft mit Melissa Aldana, der 25-jährigen chilenischen Tenorsaxofonistin, die 2013 den "Thelonious Monk Saxophone Competition" in Washington gewann, das aktuell bedeutendste Wettspiel-Sprungbrett für junge Talente. Technisch überaus kompetent, deutete Aldana im Aufgreifen von Liedern aus ihrer Heimat auch erste vage Ansätze eines eigenen musikalischen Profils an. Am gleichen Ort war auch Ambrose Akinmusire zu erleben, der 33-jährige kalifornische Trompeter, der zu Recht als einer der bedeutendsten Newcomer des US-Jazz gehandelt wird.
Im Rahmen der aktuellen Europa-Tournee hat Akinmusire seinem Stammquintett (mit Saxofonist Walter Smith III, Pianist Sam Harris, Bassist Harish Raghavan und Schlagzeuger Justin Brown) den deutsch-amerikanischen Vokalisten Theo Bleckmann hinzugefügt: Diesem oblag es gleich im Opener Rollcall For Those Absent, die Namen von "irrtümlich" erschossenen afroamerikanischen Opfern US-amerikanischer Sicherheitskräfte zu rezitieren - von Amadou Diallo bis Trayvon Martin.
Strahlende Virtuosität
Ein starkes Statement am Beginn eines Sets, in dem sich Akinmusire in der Folge allein über hochdifferenzierte Trompetentöne mitteilte: Da waren die düsteren, nachdenklichen Sounds von As We Fight, ebenfalls dem aktuellen, starken Blue-Note-Album The Imagined Savior Is Far Easier To Paint entnommen. Da war ebenso die strahlende Virtuosität Hardbop-inspirierter Themen, wobei Akinmusire auch in raschen Tempi eigenwillige melodische Linien entwickelte, abseits aller Klischee-Phrasen.
Theo Bleckmanns schlanke Stimme bedeutete insofern eine reizvolle Farbe, als er einmal im Sinne eines dritten Bläsers instrumental einsetzte, um dann in Songs wie Asiam als unprätentiöser Sänger in Erscheinung zu treten. Am stärksten, intensivsten erwies sich das Bühnengeschehen indessen dann, wenn Ambrose Akinmusire dem Lyriker in sich Raum gab: Wenn er - wie in Regret (No More), begleitet nur von Pianist Sam Harris - seine Trompete in glutvoller Intimität intonierte, um wenig später Töne von gleichsam "sprechender" Eindringlichkeit zu ziselieren. Das waren Gänsehaut-Momente, wie man sie nur selten erlebt. (Andreas Felber, DER STANDARD, 10.7.2014)