Wien - "Ich habe ein kleines Aggressionsproblem", sagt Mario L. zum Erstaunen von Richter Stefan Renner. "Das ist aber eine Untertreibung", sagt Renner korrekterweise - L. hat fünf einschlägige Vorstrafen und verbüßt derzeit zweieinhalb Jahre Haft.

Zwei Ausprägungen des Problems aus dem Jahr 2012 werden am Donnerstag nach einem Richterwechsel nochmals verhandelt. Im Jänner soll der 30-Jährige einen 85-Jährigen niedergeschlagen und schwer verletzt haben - der bis dahin rüstige Pensionist war quasi ein Kollateralschaden des Streites zwischen L. und seiner damaligen Freundin.

Der zweite Vorwurf: Vor einem Lokal soll er einen Autofahrer grundlos attackiert haben, worauf der mit Prellungen im Gesicht ins Spital kam.

Beide Anklagepunkte leugnet der Angeklagte. Beim Angriff auf den alten Mann habe er woanders auf seinen kleinen Bruder aufgepasst. Und im zweiten Fall habe er nur seine Freundin verteidigt, die vom Autofahrer eine Ohrfeige bekommen habe.

Streit vor dem Lokal

Das sei so gekommen: "Ich war auch schon etwas betrunken, weil ich gerade von der Baustellenarbeit gekommen bin." Im Café Verde in Wien-Meidling entdeckte er zufällig seine Freundin, es kam zum Streit, der vor dem Lokal ausgetragen wurde.

Dort sei ihm ein ausparkendes Fahrzeug aufgefallen, das das dahinter stehende Auto touchierte. "Ich habe ihn aufgehalten und gesagt, er soll schauen, ob es einen Schaden gegeben hat."

Was Opfer Gunaim K. eher bedingt interessierte, stattdessen kam es zum Streit. "Er hat meiner Freundin eine Ohrfeige gegeben. Dann habe ich ihn gepackt, dann wollte er mich schlagen. Dann habe ich ihn mit der Faust geschlagen", schildert der Angeklagte.

K. erzählt eine völlig andere Geschichte. "Ich wollte einparken, aus dem Lokal kamen zehn Männer, die sich gestritten haben. Dann habe ich gehört, wie jemand mit einer Flasche auf mein Auto gehaut hat. Als ich aussteigen wollte, hat mir der Herr die Autotür zugeschlagen und mich auf der Nase getroffen."

29 Tage Krankenstand

Er stieg dennoch aus, dann hätten ihn sowohl L. als auch seine Freundin geschlagen und getreten. 29 Tage sei er im Krankenstand gewesen - wegen Prellungen und Hautabschürfungen im Gesicht und einer schmerzenden Hüfte.

"Darf ich fragen, was Sie beruflich machen?", erkundigt sich Verteidigerin Romana Zeh-Gindl. "Elektriker", lautet die Antwort. "Und warum können Sie mit Prellungen einen Monat nicht arbeiten?", fragt Zeh-Gindl zum Ärger des Zeugen. "Ich hatte überall Schmerzen", echauffiert der sich lautstark und wird von Richter Renner ermahnt, nicht aggressiv zu sein.

Renner hält dem Zeugen auch vor, dass er im ursprünglichen Verfahren noch gesagt habe, es könnte einen Parkschaden gegeben haben. "Ich kann mich nicht mehr erinnern." Überhaupt ist auffällig, dass seine Schilderungen bei Polizei, erstem Prozess und nun divergieren.

Kellnerin bestätigt Angeklagten

Die Kellnerin des Café Verde bestätigt dagegen die Version des Angeklagten. Obwohl sie behauptet, dessen Freundin sei durch einen Schlag des Autofahrers ohnmächtig geworden, was nicht einmal diese selbst sagt.

Sie will auch beobachtet haben, dass K. vor dem Vorfall aus dem gegenüberliegenden Spielsalon gekommen ist. "Er war schon frustriert. Aber das sind alle, die dort herauskommen."

Von diesem Anklagepunkt spricht Renner L. schlussendlich im Zweifel frei. Dass er es war, der den alten Mann niedergeschlagen hat, steht für den Richter aufgrund unabhängiger Zeugenaussagen aber zweifelsfrei fest, er verhängt eine Zusatzstrafe von drei Monaten. Beide Entscheidungen sind nicht rechtskräftig.

"Ich hoffe, Sie machen das Anti-Aggressions-Training in der Haft weiter", gibt er L. noch mit auf den Weg, ehe der zurück ins Gefängnis gebracht wird. (Michael Möseneder, derStandard.at, 10.7.2014)