Architektin Adelheid Gnaiger (1916-1991).

Foto: Nachlass Gnaiger/Elmar Michael Elbs

Das Foto zeigt eine selbstbewusste Frau. Den Blick nach vorn gerichtet, das Kinn nach oben. Sie trägt ein klassisches Twinset, die Frisur ist unkompliziert. Gut aussehen will diese Frau, interpretiert die Betrachterin, aber sie will keine unnötige Zeit mit modischem Tand verbringen. Sie hat Wichtigeres zu tun: planen, bauen, Kinder erziehen, den Haushalt organisieren. Verantwortung tragen für das eigene Geschäft, für die Familie.

Das Foto wurde 1968 aufgenommen. Adelheid Gnaiger war damals 52 Jahre alt und hatte den Höhepunkt ihrer Karriere bereits hinter sich. Sie war die erste freie Architektin Vorarlbergs, plante öffentliche Gebäude und Banken. Eine äußerst ungewöhnliche Frauenbiografie im konservativ-katholischen Bundesland, wo die Frau, wie es die Volkspartei über Jahrzehnte predigte, für die Familie, "die Keimzelle der Gesellschaft", zuständig war. Die erfolgreiche Architektin entsprach nicht diesem Frauenbild, es sollte Jahrzehnte dauern, bis ihre Verdienste für die Architektur des Landes gewürdigt wurden.

2010 begann die Kunsthistorikerin Ingrid Holzschuh, den umfangreichen Nachlass der Architektin aufzuarbeiten. In diesem Frühjahr gab sie, unterstützt von der Tochter Adelheid Gnaigers, Jutta Gnaiger-Rathmanner, das Buch Adelheid Gnaiger 1916-1991. Die erste Architektin Vorarlbergs heraus. Neun Autorinnen würdigen das Werk der Architektin, zeichnen ihre Lebensgeschichte nach, werfen einen Blick auf die Nachkriegsjahre und das regionale Wirtschaftswunder.

Die Basis für Adelheid Gnaigers Bildungsweg legten ihre Eltern. Vater Ferdinand war Jurist, die Mutter Lehrerin. Die aus Böhmen stammende Hildegard Dichtl hätte gerne studiert, die Universität Wien nahm aber noch keine Frauen auf. Ihre beiden Töchter sollten es besser haben. Die erste Hürde für Adelheid war das Gymnasium Feldkirch. Es wurde Mädchen verwehrt. Das kleine Mädchen musste nach Dornbirn ziehen, bei Verwandten wohnen, um das Gymnasium besuchen zu können.

Hochbegabt, übersprang Adelheid eine Klasse, legte mit 17 Jahren ihre Reifeprüfung mit Auszeichnung ab, begann als eine von sechs Frauen 1933 ihr Studium an der Technischen Hochschule Wien. Mit 21 Jahren hatte sie ihren Abschluss. "Im Auftreten sicher und gewandt" stand im ersten Dienstzeugnis der jungen Frau Diplomingenieur. Adelheid heiratete einen Studienkollegen, wurde mit 27 Jahren Kriegerwitwe.

Sie ging zurück nach Vorarlberg, fand Arbeit im Reichsbauamt. Sie durfte dort frauenadäquate Planungen machen: Inneneinrichtungen, einen Jugendtreff und ein Kinderheim.

Wie viele Vorarlberger suchte Gnaiger nach dem Krieg Arbeit in der Schweiz. Kreativ durfte sie als Angestellte im Zürcher Architekturbüro nicht sein, Kostenschätzungen und Ausführungspläne schienen den Chefs eher geeignet. 1950 machte sich die frisch vereidigte Ziviltechnikerin in Feldkirch selbstständig, heiratete, bekam das erste zweier Kinder. Gnaiger plante Verwaltungsbauten, Banken, Privathäuser. Im Beruf schaffte sie den Spagat zwischen Tradition und Moderne, privat jenen zwischen Beruf und Familie. Die Architekturpionierin starb 1991. (Jutta Berger, DER STANDARD, 11.7.2014)