Der ehemalige Bundeskanzler Wolfgang Schüssel hat sich in die aktuelle Steuerdebatte eingeschaltet. In der "Neuen Zürcher Zeitung" hat er fünf Thesen angeschlagen. Sein Hauptpunkt: Der Ruf nach Vermögens- und Erbschaftssteuern sei ausschließlich von Neid getrieben. Da der Neid aber eine von sieben Todsünden sei, schade dieser der "Suche nach Gerechtigkeit". Gleichzeitig leugnet er alle (sogar jüngst erst publizierten) Befunde, wonach gerade in Österreich die Schere zwischen Reich und Arm immer mehr aufgeht.

Was folgt aus Schüssels Anklage? Alle, die vermögensbezogene Steuern verlangen, sind nach Meinung des katholischen Fundamentalisten lauter Sünder, die nicht nur jenen Reichtum diskreditieren, der aus Innvovationen (zum Beispiel im Fall von Bill Gates) resultiert, sondern auch jenen, der über Jahrzehnte "in Familienbetrieben" erarbeitet werde.

Der frühere ÖVP-Chef bemüht ganz offen einen Neidbegriff, der Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts gegen die Arbeiterbewegung eingesetzt wurde, um deren Forderungen  als egoistisch und verwerflich zu diskreditieren. Zur Unterstützung seines Arguments greift er sogar auf ein Zitat des Philosophen Schopenhauer zurück: "Kein Hass ist so unversöhnlich wie der Neid." Und spitzt damit seinen Angriff zu. Zum Unterschied vom Neid ist Hass bekanntlich aggressiv und radikal.

Die Intelligenz Schüssels beleidigt ein anderes Argument. "Zu viel Wohlfahrtsstaat kann Kreativität im Sinne innovativer Ungleichheit zerstören." Dieser intellektuell wirkende Satz erinnert an eine Redefigur, die heute noch in tumben Biertisch-Polemiken gebraucht wird. Künstler sollten nie zu viel Geld haben, sonst verlören sie ihre künstlerische Kraft. Der "arme Poet" (Carl Spitzwegs Gemälde) sei der wirkliche und echte Dichter.

Schüssel hat mit diesem Auftritt die politische Mitte verlassen und sich auf der Rechten eingemeindet. Angesichts seiner in den letzten Jahren deutlich merkbaren ideologischen Wanderung ist sein im Jahr 2000 geschlossener Regierungspakt mit der FPÖ nicht mehr nur taktisch zu interpretieren. Vielleicht hat er schon damals gespürt, wo seine eigentliche politische Heimat ist. (Gerfried Sperl, derStandard.at, 11.7.2014)