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Das tägliche Verkehrschaos in Dhaka, Hauptstadt von Bangladesch

Foto: Reuters/Biraj

Ein spannender Essay des Publizisten und Menschenrechtsaktivisten Michael Hobbes in "The New Republic" beschreibt das Verkehrschaos von Dhaka. Die rasant wachsende Hauptstadt von Bangladesch mit mindestens sieben Millionen Einwohnern hat gerade einmal 60 Ampeln, von denen viele nicht funktionieren.

Tag und Nacht verstopfen Millionen Motor-Rikschas und Autos die maroden Straßen und verhindern ein Fortkommen. 3,8 Milliarden Dollar im Jahr soll der tägliche Verkehrsinfarkt das arme Land durch Verspätungen und Luftverschmutzung kosten.

Einfache Lösungen

Dabei gäbe es laut Experten einfache Lösungen, schreibt Hobbes. Man müsste die Rikschas mit eigenen Fahrspuren von den Autos trennen, das in Dutzende Privatunternehmen aufgesplitterte Bussystem reorganisieren und das Wachstum der Zahl an Pkw durch eine höhere Kostenbeteiligung bremsen.

Das Geld dazu wäre da, denn mit internationaler Hilfe baut Dhaka derzeit um 2,75 Milliarden Dollar ein U-Bahn-System, das allerdings erst in vielen Jahren fertig sein wird. Bis dahin wird Dhakas Verkehr immer schlimmer werden.

Autos als Zeichen des Erfolgs

Doch die Lösungen sind politisch nicht umsetzbar. Es gibt in Dhaka 1,5 Millionen Rikschafahrer, die keine Einschränkungen akzeptieren und ihr Geschäft nicht an Busunternehmen verlieren wollen. Die Zahl der Autofahrer ist zwar geringer, aber diese Gruppe ist noch einflussreicher; Limousinen mit Chauffeur sind für die obere Mittelschicht das Zeichen des Erfolgs, selbst wenn man Stunden darin sitzen muss.

Und wie Hobbes schreibt, wehren sich auch die Polizisten gegen Reformen, weil sie auf die Schmiergelder nicht verzichten wollen, die sie fürs Wegschauen bei falschen Papieren und untauglichen Fahrzeugen erhalten.

Die sinnvollen Maßnahmen, so Hobbes, „sind politisch gesehen so plausibel wie der Vorschlag, dass alle auf einem Riesenadler in die Arbeit fliegen sollen.“

Weit entfernt und doch recht nahe

Nun ist Österreich von Bangladeschs Problemen Tausende Kilometer und ganze Welten entfernt. Aber die politische Dynamik, die bei uns vernünftige Reformen verhindert, ist die gleiche. Es sind einzelne Interessensgruppen, die auf ihre Vorteile nicht verzichten wollen und sich dem Gemeinwohl entgegenstellen.

Beispiele: Dringend notwendige Pensionsreformen werden von Pensionistenverbänden und Gewerkschaften blockiert, die Verwaltungsreform von den Bundesländern und deren Vertretern, die Reform der Grundsteuer von Eigenheimbesitzern und Bauern, eine Eindämmung des Autoverkehrs und des damit verbundenen CO2-Ausstoßes von den Autofahrerclubs.

Gegen Schulreformen opponieren die Lehrergewerkschaften, und gegen eine Modernisierung des völlig veralteten Informationssystems im Gesundheitswesens – Stichwort Elga – die Ärztekammer, weil ihre Mitglieder die verstärkte Kontrolle fürchten, die mehr Transparenz mit sich bringt. Und die sonst so reformfreundliche Wirtschaftskammer blockt eine Liberalisierung der Gewerbeordnung ab, weil dies einzelnen Betrieben mehr Wettbewerb bringt.

Expertenrat läuft ins Leere

Der Reformstau in Österreich ist ein Spiegelbild des Verkehrsstaus in Dhaka – die Folge von Lobbys, die mächtiger sind als die breite Bevölkerung und auch den Rat aller Experten ins Leere laufen lassen. (Warum das so ist, hat der verstorbene US-Ökonom Mancur Olson bestechend klar dargelegt).

Zum Glück hat Österreich viele Jahrzehnte hinter sich, in denen Reformen politisch durchsetzbar waren. Deshalb haben wir - anders als die meisten Schwellenländer – etwa ein funktionierendes Verkehrs, Gesundheits- Bildungs- und Sozialsystem.

Aber das nächste Mal, wenn eine Interessensvertretung wieder aufschreit, weil eine von Experten ausgeheckte Reform angeblich unausgereift und widersinnig, unsozial und ungerecht ist, dann sollte man daran denken, was dahintersteckt: die Verteidigung von Pfründen auf Kosten der Allgemeinheit, die bei uns „nur“ etwas Wohlstand kostet, anderswo aber das Elend der Massen verstärkt. (Eric Frey, derStandard.at, 12.7.2014)