Politikwissenschafter Oliver Stuenkel

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STANDARD: Welche Botschaft soll von dem Brics-Treffen in Brasilien ausgehen?

Stuenkel:  Das Treffen ist ein wichtiges Zeichen, dass sich die Gruppe institutionalisiert. Das ist sehr bemerkenswert. Denn 2008 - auf dem Höhepunkt der Finanzkrise - haben viele Analysten dem Brics-Konzept keine Zukunft gegeben und es als großen Fehler kritisiert. Sie werden jetzt eines Besseren belehrt. Jetzt kommen die Brics mit der Gründung einer eigenen Entwicklungsbank, einem Projekt von globaler Bedeutung. Sie sind keine Empfänger mehr von Entwicklungshilfe, sie finanzieren Entwicklungsprojekte. Sie wollen auch in den internationalen Organisationen eine größere Rolle spielen, was zu Spannungen mit Europa und den USA führt. Der Westen befürchtet, dass er seine seit dem Zweiten Weltkrieg aufgebaute Vormachtstellung verliert.

STANDARD: Ist die Gründung der Entwicklungsbank vorrangig eine Kritik am Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank, deren Reformen den Schwellenländern viel zu langsam vorangehen?

Stuenkel:  Die Brics wollen die existierenden Institutionen wie IWF und Weltbank nicht bekämpfen, sondern eine Alternative aufzeigen. Vor allem China pusht das Projekt, weil es seine Währungsreserven anlegen will. Allerdings gehen den Brics die Reformen nicht schnell genug. Und sie kritisieren die Abmachung, dass die USA immer den Präsidenten der Weltbank und Europa den IWF-Chef stellt. Das empfinden die Schwellenländer als eine Ohrfeige.

STANDARD: Wie soll denn die Entwicklungsbank arbeiten? Ist zum Beispiel Argentinien, das sich am Rand der Staatspleite befindet, ein erster Kandidat für Kredite?

Stuenkel:  Es gab viele Gerüchte über Argentinien, das bereits als weiteres Brics-Mitglied gehandelt wurde. Aber dazu wird es nicht kommen. Die Entwicklungsbank finanziert Projekte, also greift nicht Staaten in Finanzkrisen unter die Arme. Viele Modalitäten sind aber noch unklar. Die große Frage ist, ob ähnlich wie bei der Weltbank die Kreditvergabe an Umwelt- und Menschenrechtsstandards geknüpft sein wird. Das ist vor allem mit Blick auf den großen Einfluss von China und Russland interessant. Noch nicht klar ist, ob auch Projekte außerhalb der Brics, also beispielsweise in Afrika, finanziert werden. Sitz der Bank soll Schanghai sein, was Chinas Einfluss unterstreicht.

STANDARD: In der Außenpolitik haben die Brics-Länder sehr unterschiedliche Interessen. Ist es überhaupt möglich, gemeinsame Positionen zu finden und mit einer Stimme zu sprechen?

Stuenkel:  Die Brics setzen sich aus drei Demokratien und zwei autokratischen Systemen zusammen. Zwei Länder haben Nuklearwaffen und sind zugleich ständige Mitglieder im UN-Sicherheitsrat. Das führt schon zwangsläufig zu Divergenzen. Es kommt für die Länder aber nicht darauf an, immer eine gemeinsame Haltung zu finden. Sie agieren thematisch. Russland ist beispielsweise damit gescheitert, die Brics in eine antiamerikanische Allianz umzuwandeln. Daran hat vor allem Brasilien kein Interesse. Auf der anderen Seite unterstützen Russland und China Brasiliens Bestreben nicht, einen ständigen Sitz im UN-Sicherheitsrat zu bekommen. Denn für Russland ist das der letzte noch verbliebene Einfluss in internationalen Organisationen. Es gibt aber mehr als 30 Kooperationsprojekte in den Bereichen Gesundheit und Bildung, die zeigen, dass die Brics durchaus gemeinsam agieren. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, DER STANDARD, 14.7.2014)