Bild nicht mehr verfügbar.

Unter den Dealern (Symbolbild) dieser Stadt gibt es dümmere und klügere.

Foto: APA/EPA/FERNANDO BIZERRA JR

In meiner Gegend in Meidling ist es so: Wenn alle anderen Dealer trocken sind, dann ist Ahmed das letzte Wasserloch in der Wüste. Allerdings geht man zu Ahmed nur in dieser Art Notfall, weil er mehr als üblich abzockt und seine Drogen mehr als üblich gestreckt sind. Deswegen nennt ihn jeder nur Ahmed Notfall.

"Scarface" für ganz Arme

Damit wir uns richtig verstehen: Drogen sind kein Spielzeug, Dealer sind keine moralischen Vorbilder, und Drogenhandel ist kein Kavaliersdelikt. Das gesagt habend, will ich noch feststellen, dass es unter den Dealern dieser Stadt dümmere und klügere gibt, aber keinen einzigen ehrenwerten Zeitgenossen. Ahmed und seine Crew sind jedoch das hirnloseste Pack Elend, das mir je begegnet ist.

Im Grunde handelt es sich bei Ahmed, Nedjad, Franz und Petar um einen Multikulti-Albtraum aus urbanen Hühnerdieben, die glauben, eine Mischung aus Tony Montana, Pablo Escobar und Tupac Shakur zu sein. Allerdings besteht ihr Arsenal aus einer Luftdruckpistole, zwei Gaspistolen und (wohl noch am gefährlichsten) einem kurzen Bambusstock mit aufmontierter Messerklinge. Der Rap, den Ahmed auf seinem Laptop produziert, ist nur eine kontextlose Ansammlung von Beschimpfungen, die jeder Elfjährige besser hinbekommen kann.

Investieren leicht gemacht

Wie jedes Geschäft braucht auch der Handel mit Drogen eine Anfangsinvestition. Dafür ist Ahmed höchstpersönlich zuständig. Er arbeitet in einem Lager für Billigelektronik, wo er den ganzen Tag Kartons stapelt. Weil´s bei ihm für einen Gabelstaplerschein geistig nicht ganz reicht, ist er nur für leichte Verpackungen und kleine Säuberungsdienste zuständig. Ähnlich ist es mit seinen Versuchen, einen Führerschein fürs Auto zu erwerben: Nach dem dritten Versuch geht ihm Geld und Lust aus.

So beschließt Ahmed, eine Palette billiger DV-Cams zu entwenden, um die Anschubfinanzierung für ein anstehendes Drogengeschäft herbeizuschaffen. Zwei dieser DV-Cams verkauft er seiner Freundin und ihrem Onkel, die dritte, aus Mangel an Kundschaft, einem Arbeitskollegen, der damit anschließend zum Chef des Lagers geht, der sofort zum Handy greift und die Kriminalpolizei anruft.

Nachdem er den Job im Lager für immer und seine Freiheit für drei Monate einbüßt, beschließt Ahmed auf andere Weise zum Investment zu gelangen. Obwohl seine Crew die Umstände von Ahmeds strafrechtlichem Missgeschick genau kennt, ist er der unwidersprochene Urheber, Planer und Kommandeur der "Operation Bimbo". Das, so fernliegend es erscheinen mag, liegt daran, das Ahmed tatsächlich den höchsten IQ aller Beteiligten hat.

Chemical Ali

Ein kleiner Unfall beendet die Aktion fast vorzeitig. Als Petar am Tag X noch schnell Amphetamine tanken will, besucht er am Vormittag seinen Cousin "Chemical Ali" und raucht stundenlang Bong während beide nervös auf Alis Bruder mit der frischen Ware warten. Alis Bruder hat aber die Ware schon ausgiebig angetestet und möchte nun ein Scherzkeks sein. Also hämmert er an der Tür, dabei laut rufend: "Aufmachen! Polizei!" Was Petar und "Chemical Ali" veranlasst, aus dem Fenster im Hochparterre zu springen. Beide halten ihr Tun für eine gute Idee. Und die Ärzte im Meidlinger UKH halten es für eine gute Idee, Petars Fersenbeinbruch mit drei Titanschrauben zu fixieren.

Doch Ahmeds Plan ist so einfach, dass er auch ohne den nun fußmaroden Petar auskommt. Ahmed bestellt bei einem "Koks-Bimbo" (so nennt er wie andere migrantischen Rassisten einen Afrikaner), den er von einem spontanen Kokskauf flüchtig kennt, zwei Deka Koks und, auf Petars Bitte, auch reichlich Chemie. Treffpunkt ist ein Haustor in Wien-Margareten, wo der Afrikaner, der nur Ahmed erwartet, von Franz und Nedjad zu Boden geprügelt und ausgeraubt werden soll. Ahmeds Job als Chef der Crew ist es, die Gasse zu beobachten und im Notfall einzugreifen. Die geraubten Drogen will man strecken und verkaufen, zuvor auch ein wenig damit feiern. Der Koksverkäufer, so Ahmeds Räson, wird kaum zur Polizei gehen und Anzeige erstatten.

Showtime!

Zunächst klappt alles nach Plan. Ahmed trifft abends den Afrikaner an einem Würstelstand. Zum Tausch Marie gegen Ware und für letzte Preisverhandlungen geht man die Gasse hinter dem Stand entlang. Bis zum Haustor, wo Nedjad und Franz mit geballten Fäusten schon warten. An dieser Stelle möchte ich anmerken, dass Ahmeds Plan zumindest keine Waffen vorsieht, sondern nur klassische Faust- und Fußarbeit. Was, so finde ich, auf eine abgründige Weise lobenswert erscheint.

Am Haustor angelangt versetzt Ahmed dem Afrikaner unerwartet eine Faustwatsche Richtung Tor. Vier Arme schleudern ihn gegen das dicke Holz, das laut knackst. Ab nun jedoch zerfällt Ahmeds Szenario weil – so Ahmeds eigene Theorie – der Afrikaner kurz vor dem Auftauchen noch eine kräftige Line seiner eigenen Ware zieht und nunmehr kein überrumpelter Dealer mehr ist, sondern ein zorniger, schwarzer Mann auf Koks.

Obwohl ihm Nedjad mit aller Kraft die Fäuste in die Nieren boxt, liegen erst Nedjad und dann auch Franz blitzartig auf dem Boden, wonach der Afrikaner sich Ahmed widmen will. Doch bevor er sich zu ihm drehen kann, springt Ahmed, der zwischen zwei geparkten Autos kauert, einen beidbeinigen Eselstritt in die Nieren des Afrikaners. Der Angriff von hinten ist Ahmeds Spezialität und auch in diesem Fall erfolgreich. Sauber, wirksam und lähmend schmerzhaft, weil die Wirkung der letzten Nase im Afrikaner schnell verdampft.

Fette Beute – fette Fete!

So wie Alis Bruder am Vormittag und der Afrikaner vor einer Stunde beschließen Ahmed und seine Crew, die Ware vor Streckung und Verkauf erst mal ausgiebig zu testen. Sogar Petar ist da, weil er sich nach Erfolgsmeldung via SMS gegen Revers aus dem Krankenhaus entlässt und vergipst mit einer Handvoll Voltaren und an einer Krücke gehend in ein Taxi steigt.

Die Laune steigt, als man feststellt, dass die Beute besser ist als erwartet. Neben den zwei Deka sind da noch zehn Gramm-Säckchen Koks und in weiteren Plastiktütchen, fein sortiert, zwanzig Extasys und fünf Gramm Chrystal-Meth, die der Afrikaner für weitere Deals dabei hatte. Dazu kommen noch fast 600 Euro aus vorangegangenen Deals des Opfers. Alles in allem scheint das die bisher erfolgreichste Arbeit der Jungs, was ausgiebig zu feiern ist. Überflüssig zu sagen, dass irgendwann, lange nach Mitternacht und während der Plasmaschirm flimmert, alle in einen nervösen, zuckenden Drogenschlaf fallen. Alle außer Petar.

Das Evangelium nach Petar

Petars Kumpel nennen ihn nicht "Pille", weil sie Trekkies sind. Sondern weil Petar ein ausgesprochener Fan chemischer Drogen ist. In dieser Nacht erreicht Petar endlich das Nirwana aller Pillen-Freaks in Psychose-Town. Nach mehrstündiger Betrachtung der Wickelmuster in seinem Gips, erkennt Petar "Pille", dass nur eine ausgiebige Beichte seine Seele ins Gleichgewicht mit dem Universum bringen kann. Und er macht sich gegen drei Uhr morgens auf die Suche nach einer Kirche.

Weil ihn der Gehsteig zu sehr einengt, wankt Petar an seiner Krücke über die Fahrbahn. Weswegen ihn eine Polizeistreife aufgreift und anschließend erstaunt seine Beichte ins Protokoll aufnimmt. Und kurz nach Sonnenaufgang findet in Ahmeds Dealer-WG eine Razzia statt. Ahmed entkommt nur, weil ihn der Afrikaner, der durch Petars Beichte ebenfalls gefunden wird, nicht identifizieren kann. Wurscht ob Meidling oder Chicago – G'schichten unter Hühnerdieben eben. (Bogumil Balkansky, daStandard.at, 15.07.2014)