Freiburg - Im Kampf gegen den Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa haben internationale Forscher nun eine mögliche neue Waffe identifiziert: Zucker. Die Gruppe unter der Leitung von Thorsten Eierhoff und Winfried Römer von der Universität Freiburg haben dem Bakterium mit dem Zuckerwirkstoff Galaktose den Eintritt in Wirtszellen erfolgreich versperrt. Der Zuckerkomplex bindet dabei das Bakterienprotein LecA, das es Pseudomonas normalerweise ermöglicht, in menschliche Lungenzellen einzudringen.
Der Krankenhauskeim Pseudomonas aeruginosa kann bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem oder chronisch Kranken unter anderem Haut- und Lungenentzündungen hervorrufen. Zudem sind diese Bakterien oft gegen Antibiotika resistent. In Zellkultur wiesen die Forscher nach, dass die Keime, die mit dem neuen Wirkstoff behandelt wurden, zu 90 Prozent weniger in menschliche Lungenzellen eindringen.
Das Protein LecA bindet den Zucker Galaktose auf Wirtszellen. Das Bakterium heftet sich so an die Wirtszelle und dringt in sie ein. Das führt dazu, dass sich das Bakterium im Körper ausbreiten kann. Die Forscher haben ein Molekül entwickelt, das LecA daran hindert, an die Galaktose der Wirtszellrezeptoren anzudocken: Zu diesem Zweck bindet das Molekül selbst mit hoher Passgenauigkeit an das Bakterienprotein.
Hilfreiche Schutzkappe
Die Wissenschafter haben in der Fachzeitschrift "Angewandte Chemie" aufgeschlüsselt, wie die Interaktion zwischen dem Zucker und dem LecA-Protein auf Molekülebene im Detail aussieht. "Der Wirkstoff ist genau auf LecA zugeschnitten: Ein Gerüst von organischen Molekülen bringt zwei Galaktosezucker in den richtigen Abstand zueinander, sodass sie exakt in zwei Bindungsstellen des LecA auf der Bakterienzelle passen", erklärt Eierhoff. Der Wirkstoff ähnelt einem Stecker aus Galaktosezuckern, der in die Steckdose von LecA hineinpasst. Dabei wirkt er wie eine Schutzkappe: Die Pseudomonas-Bakterien können somit nicht mehr in die Wirtszelle eindringen.
Entdeckt hat sas passgerechte Molekülgerüst die Arbeitsgruppe um den Chemiker Nicolas Winssinger von der Schweizer Universität Genf. Moleküle, die als potenzielle Bindungspartner in Frage kamen, wurden auf einem Chip angeordnet. Das erlaubte den Wissenschaftern, viele Proben gleichzeitig zu testen. Sie beobachteten, welcher Stecker am besten an das Protein LecA passte. Die Arbeitsgruppe von Römer testete das passende Molekül in Zellkultur, um zu messen, wie viele Bakterien es noch schafften, unter der Wirkung des Steckers in Zellen einzudringen.
Basis für künftige passgenaue Wirkstoffe
Die Bindung über LecA an Wirtszellen ist ein bedeutender Invasionsweg für die Keime in menschliche Lungenzellen. Bei Patienten mit zystischer Fibrose, einer erblichen Erkrankung der Schleimhäute, ist Pseudomonas aeruginosa für rund 80 Prozent der Todesfälle durch Lungenentzündungen verantwortlich. Mit den Erkenntnissen der Forschergruppen ließe sich nun ein neuer, passgenauer Wirkstoff entwickeln, der den Erreger wesentlich abschwächt. (red, derStandard.at, 15.07.2014)