Wien - Sie sind gemeint, wenn Politiker, Experten und Medien vor einer "Zeitbombe" warnen: Jugendliche, die weder einen Job haben noch in Ausbildung stehen. 78.000 "Neets" (Not in Education, Employment, Training) weist der Sozialforscher Johann Bacher in einer Studie aus, das sind 8,5 Prozent aller Jugendlichen zwischen 16 und 24 Jahren.

Präzise ist die Zahl allerdings nicht: Einerseits reicht minimale Arbeit, um kein Neet zu sein, andererseits sind auch jene inkludiert, die sich ohne Not eine Auszeit gönnen.

Eine andere Sorgengruppe sind die "Early School Leavers", kurz ESL. 75.000 Jugendliche haben laut einer Untersuchung des Instituts für Höhere Studien (IHS) maximal Pflichtschulabschluss und sind aktuell nicht in formaler Ausbildung - ein zentraler Grund, um in der Folge erwerbsmäßig in der Luft zu hängen: Jeder zweite ESL ist gleichzeitig ein Neet.

Ticket für die Arbeitslosigkeit

Nach beiden Kriterien zählt Österreich zu jenen EU-Staaten, wo der Problemkreis am kleinsten ist, die ESL-Rate ist zuletzt gesunken. Allerdings dürften die auf Mikrozensus-Befragungen basierenden Daten das Ausmaß unterschätzen. IHS-Forscher Mario Steiner wertete für das Jahr 2011 die Schul- und Erwerbsstatistik aus und kam auf einen doppelt so hohen ESL-Wert: Demnach sind 154.000 Jugendliche von 15 bis 24 Jahren vorzeitige Bildungsabbrecher, 15,1 Prozent jedes Jahrgangs.

Doris Landauer hält die höhere Zahl für die plausiblere. Die Psychologin ist beim Arbeitsmarktservice Wien Expertin für eben jene Zielgruppe, sie betreibt die Website www.unentdeckte-talente.at, die zur Bildung motivieren soll. Jedes Jahr länger in der Schule oder Ausbildung führe pro Jahr zu einem Tausender mehr im Geldbörsl, ist dort zu lesen, und: 29 Prozent aller Personen im erwerbsfähigen Alter in Wien, die nur Pflichtschulabschluss haben, sind arbeitslos.

Die Gefahr, in diesen Sog zu geraten, ist nicht für alle gleich. Unter Jugendlichen mit Migrationshintergrund (erste Generation) beträgt der Anteil der Neets 19,4 Prozent und jener der Bildungsabbrecher 22 bis 26 Prozent - ohne Migrationshintergrund liegen die Quoten nur bei 6,7 (Neets) und 4,7 Prozent (ESL). Ein ähnlich großer Risikofaktor sind Eltern mit niedrigem Bildungsniveau.

Um Drop-out-Gefährdeten zu helfen, schickt das Sozialministerium Jugendcoaches in Schulen. Überdies soll die Ausbildungsgarantie bis 18, die auf dem Angebot der überbetrieblichen Lehrwerkstätten basiert, ab 2016 zur Pflicht werden: Wird an die Pflichtschule keine weitere Ausbildung angehängt, sollen Eltern in letzter Konsequenz Strafen drohen.

Das Kernproblem bestehe aber im "Versagen" der Schulen, die auf jene Risikokinder, denen Deutschkenntnisse und Hilfe der Eltern fehlen, oft "bestenfalls reagieren, indem sie diese in die Sonderschule schicken", kritisiert AMS-Expertin Landauer und berichtet von gebrochenem Selbstvertrauen vieler Schulabgänger: "Und am AMS sollen wir dann in Kurzzeit reparieren, was in den Schulen verbrochen wurde." (Gerald John, Grafik: Florian Gossy, DER STANDARD, 15.7.2014)