Die TV-Bilder und die Pressefotos erwecken weltweit immer wieder, wie zuletzt im Jahr 2012, ein tiefes Mitgefühl der Zuschauer und der Leser für die Tragödie der 1,7 Millionen Menschen im Gazastreifen, die, bettelarm und von der übrigen Welt isoliert, ungeschützt den fast pausenlosen Bomben- und Raketenangriffen der gewaltigen Militärkraft Israels ausgeliefert sind. Die meisten Opfer - nach den Angaben des palästinensischen Gesundheitsministeriums bisher 160 Tote und eintausend Verletzte - sind Kinder, Frauen und ältere Menschen, die aus ihren zerstörten Häusern nicht rechtzeitig flüchten konnten. Zum dritten Mal seit dem unilateralen Abzug im Jahr 2005 aus Gaza wird für den steigenden Blutzoll wieder einmal in erster Linie Israel verantwortlich gemacht.

Wer in der Weltöffentlichkeit erinnert sich noch daran, dass die Gewalt mit dem Mord an drei israelischen Jugendlichen und Raketenangriffen der Hamas (die nach wie vor Israels Recht auf staatliche Existenz ablehnt) auf israelische Städte begann und dass Ministerpräsident Netanyahu zuerst lange versucht hat, die militärische Konfrontation zu vermeiden?

Obwohl diesmal fast alle unabhängigen Beobachter (so zum Beispiel auch die NZZ am 11. 7.) das "zynische Kalkül" der Hamas verurteilen (durch ihre Raketenangriffe die Menschen im Gazastreifen zu Zielscheiben der provozierten und erwarteten vernichtenden Gegenschläge der israelischen Luftwaffe zu machen), zahlt Israel einen hohen politischen Preis für die blutigen Folgen seiner erdrückenden Luftüberlegenheit. Die "völlig unverhältnismäßige" militärische Aktion wird nicht nur vom luxemburgischen Außenminister scharf kritisiert. Die Umfragen zeigen bereits wachsende Sympathien für die extremistischen Islamisten, deren Führer und Raketenarsenale in unterirdischen Gängen und Bunkern angeblich auch unter Krankenhäusern versteckt sind.

Trotz der Drohkulisse von Truppenkonzentration an der Grenze rechnen israelische Quellen nicht mit einer großangelegten Bodenoffensive, geschweige denn mit einer erneuten Besetzung Gazas. Bisher hat das kostspielige mobile Raketenabwehrsystem "Eisenkuppel" die bewohnten Gebiete, den Flughafen Tel Aviv und den Atomreaktor in Dimona erfolgreich geschützt.

Im Gegensatz zu den früheren Konflikten kann die Hamasführung weder mit der Hilfe Irans noch Syriens rechnen. Der neue starke Mann Ägyptens, Präsident Abdelfattah al-Sisi, betrachtet die Hamas ebenso wie die zerschlagenen Muslimbrüder als eine Terrororganisation. Vor dem Hintergrund der Bürgerkriege in Irak und Syrien mit insgesamt 300.000 Toten und 13 Millionen Flüchtlingen und der Gärung in der ganzen Region neigen die Falken in der israelischen Regierung mit Außenminister Lieberman an der Spitze zu einem harten Kurs. Trotz der bedrängten Lage der isolierten Hamas muss sich jedoch auch Israel mit einem gesichtswahrenden Ausweg begnügen, weil die Lage so unberechenbar ist. Der Konflikt mit den Palästinensern sei unlösbar, statt über "Frieden" zu sprechen, sollte man dem "Kompromiss" mit Zugeständnissen und durch Festhalten an einem Dialog mit der anderen Seite eine Chance geben, schrieb kürzlich der israelische Schriftsteller Etgar Keret. (PAUL LENDVAI, DER STANDARD, 15.7.2014)