Eine Win-Win-Win-Geschichte von der Turracher Höhe

Einfach nur ein Laufcamp zu organisieren war Thomas Krejci zu wenig: Seit sieben Jahren organisiert der Kartograf und Läufer Bergtrainingswochen für kenianische und österreichische (und deutsche) Läufer, seit 2011 auf der Turracher Höhe. Eine Win-win-win-Geschichte: für die afrikanischen Läufer eine gute Basis, um bei europäischen Bergläufen zu starten, für Europäer (egal auf welchem Leistungslevel) ein feines Lauflernerlebnis - und für die Region, aus der die Kenianer kommen, ein spürbarer Entwicklungsimpuls.

Ich durfte ein paar Tage Höhen(lauf)luft schnuppern.

Am Berg gehen Uhren anders. Weiß ich eh. Vom Skitourengehen. Vom Bergsteigen: Sechs Uhr früh ist gar nix. Oder sogar spät. Das hat 1.001 Gründe - und dass Sonnenaufgänge am Berg etwas Besonderes sind, kann man nicht einfach erzählen. Das muss man erleben. Nur dann versteht man, dass es dann vollkommen egal ist, ob man Zeit hatte zu duschen. Ausgeschlafen ist. Fröstelt. Oder friert. Oder gefrühstückt hat: Der erste Sonnenstrahl ist, was zählt. Das, was entschädigt. Und das, was den Unterschied ausmacht: Ich bin eine Stadtpflanze. Aber deshalb weiß ich, wieso ich diesen Moment so liebe.

Foto: Thomas Rottenberg

Freilich: Über die Sache mit dem Nichtfrühstück könnten wir auch streiten. Meine Trainerin ist dagegen. "Berglauf ohne Frühstück?", mailte mir Sandrina Illes nachher. "Hm, also da schlägst du mich: Ich kann das nicht."

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Und auch die meisten Lauffreunde tippten sich an die Stirn. "Alles schön und gut - aber so ganz ohne Futter kann das nicht gehen." Kann es doch. Aber das glaubte ich auch erst, nachdem ich es getan hatte: Bei den Laufcamps auf der Turracher Höhe beginnt der Tag um halb sieben. Mit einem Morgenlauf. Und zwar nüchtern.

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Thomas Krejci kennt diese Bedenken: Krejci ist Schuld, dass ich hier war. Hier, das ist die Turrach. Das Grenzgebiet zwischen Steiermark und Kärnten. Hier war früher nichts - außer einer Passstation. Nach dem zweiten Weltkrieg fadisierten sich hier britische Soldaten. Sie bauten einen Schlepplift. Der Lift blieb. Heute ist die Turrach ein gut erschlossenes Wintersportrevier. Nicht spektakulär, aber familienfreundlich. Wie alle Winterdestinationen versucht man auch den Sommer zu bespielen: Wandern allein ist rasch ausgereizt. Darum haben sich die Turrach-Touristiker "Gimmicks" gebastelt. Einen Almbutler zum Beispiel.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber der gehört nicht hierher. Nicht in diese Geschichte. Denn Thomas Krejci ist weder Butler noch Gimmick - sondern Kartograph und Läufer. Und weil es ihn in dieser Funktion einmal nach Kenia verschlug, gehören er und seine Laufgruppen seit 2011 auf der Turrach zum Sommer-Inventar.

Foto: Thomas Rottenberg

Stammgäste der Turracher Höhe haben sich längst daran gewöhnt: In den Sommermonaten stolpert man hier alle paar Augenblicke über gemischte Laufgruppen. "Gemischt" ist ernst gemeint. Alt und jung, Männlein und Weiblein, schnell und langsam - und vor allem: Schwarz und Weiß. Denn das ist das, was Thomas Krejci hier anbietet: "Run2Gether" nennt sich sein Verein - und der Name ist Programm.

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Begonnen hat alles, als Krejci sich in Kenia mit Geoffrey Gikuni Ndungu anfreundete. Ndungu ist ein internationaler Spitzenläufer (und war, als ich auf der Turrach war, noch nicht im Camp). Die Idee, die Krejci und Ndungu hatten: Europäischen Allerwelts-Läufern den Traum vom Laufen mit afrikanischen Spitzenathleten ermöglichen - und zwar auf Augenhöhe. "Ich hatte den Traum einer Win-Win-Win-Geschichte: Die Afrikaner haben eine Basis hier in Europa, wenn sie bei Berg- und anderen Läufen starten, die Europäer profitieren vom Know How der Kenianer - und von dem Geld, das wir mit Camps und Läufen einnehmen, können wir nicht nur junge Läufer fördern, sondern auch Schul- und andere Projekte finanzieren."

Foto: Thomas Rottenberg

Genau das ist heute ein gut eingespieltes Werkel: 15 bis 20 kenianische Athleten sind als Trainer und Betreuer im Sommer auf der 1850 Meter hoch gelegenen "Almstube“. Sie laufen und leben mit den zahlenden Gästen. Etliche, nicht alle, gehören zur internationalen Marathon- und Berglauf-Elite: Ndungu hat unter anderem dreimal den Großglocknerlauf und einmal den Jungfrau-Marathon gewonnen. Isaac Ksogei (schwarze Jacke) gewann auch schon einmal am Großglockner - und verlor auf der Zugspitze den Marathon dramatisch: Zwei Kilometer vor dem Ziel hatte er sieben Minuten Vorsprung: "Ab dort lag Schnee - und ich bin noch nie auf Schnee gestanden: Ich bin bei jedem Schritt ausgerutscht.“

Foto: Thomas Rottenberg

Trotzdem zeigen die Kenianer den Europäern auch am Berg beim Laufen, wo Gott wohnt. Ganz entspannt. Kosgei war bei den Tempointervallen rund um den See mein Pacemaker. Während ich bei den letzten drei Speedeinheiten mehr fluchte als lief, federte der 27-Jährige bei einem 3:40er-Pace locker plaudernd neben mir dahin. Ohne nur einmal hörbar zu schnaufen. Stattdessen lobte er mich: "Ich hab dir doch gesagt, dass du das Tempo, das ich dir vorgebe, auch beim letzten Intervall halten kannst." Ganz abgesehen vom Trainingseffekt hat derlei pädagogisch-relativierende Funktion: Auf der Turrach laufen tatsächlich Menschen jedweder Leistungsklasse miteinander. Doch das Angeber-Gebrabbel der (meist) Männer, die mit ihren Deutlich-Sub- oder Nur-Knapp-über-Drei-Stunden-Marathonzeiten angeben, entfällt: Neben Reinhold Messner protzt man ja auch eher selten mit der Nonstop-Besteigung des Kahlenberges.

Foto: Thomas Rottenberg

Mit den Kenianern auf rund 2000 Metern eine Woche lang zu laufen, ist leistbar: Etwa 400 Euro kostet die run2gether-Laufwoche. All inc. Vollpension. Trotzdem bleibt, betont Krejci, Geld übrig, um in Kenia das dortige Laufcamp auszubauen und ein Schulprojekt zu finanzieren. Wie das geht? Ganz einfach: Weil weniger tatsächlich mehr sein kann - viel mehr.

Foto: Thomas Rottenberg

Auf der "Almstube" wird die ganze Woche über "kenianisch" gekocht und gegessen. Gut und ausreichend - aber einfach und ohne Firlefanz. Die Zimmer sind sauber - aber schlicht. Die Betten muss man halt selber machen. Dabei bricht sich keiner den Arm - und es ist auch wichtig für Teambuilding und Gruppengefühl: Jemandem, der beim Zermatt-Marathon und sonstigen Irrsinns-Läufen am Stockerl stand und einen eine Stunde vor dem Essen beim Lauf vom See zurück hinauf zur Hütte nur aus Höflichkeit nicht einfach stehen lassen hat, beim Geschirrwegräumen untätig zuzuschauen, ist schlechter Stil. Sowas bringt mieses Karma. Zu Recht.

Foto: Thomas Rottenberg

Allerdings wird das nicht überall so gesehen: Aus manchen Ecken der Laufwelt bläst dem Verein heftiger Gegenwind entgegen. Krejci wird als "Ösi-Kenianer" der sich "auf Kosten seiner Läufer bereichert" bezeichnet. Er selbst betont, das nicht nachvollziehen zu können: Richtig sei, dass seine Läufer von Preis- und Startgeldern 30 Prozent an den Verein abgeben - aber "dieses Geld stecken wir zu 100 Prozent in unsere Projekte". Von Bereicherung könne keine Rede sein "ich lebe von meiner Arbeit als Kartograph - und stecke selbst Geld in den Verein."

Foto: Thomas Rottenberg

Den Hintergrund der Vorwürfe glaubt Krejci aber "sehr gut und sehr genau" orten zu können: "Wie wir in den Nullerjahren angefangen haben, mit afrikanischen Läufern bei Bergläufen zu starten, war das einigen Herrschaften überhaupt nicht recht. Dieses unselige Gedankengut, dass alles, was am Berg passiert deutsch - oder zumindest weiß - zu sein hat, spukt noch in vielen Köpfen herum." Offen zu sagen wage das aber niemand. "Aber du kriegst es trotzdem mit."

Foto: Thomas Rottenberg

Dass es bei den "Run2Gether"-Camps auf der Turrach dann mindestens einmal ordentlich "Auffi Auffi Auffi" heißt, ist aber nicht angewandte Anti-Rassismus-Arbeit, sondern schlicht und einfach geiles Laufen - auch wenn es mit diesem Hintergrund doppelt fein ist, eine gemischt"rassige" Gruppe am Kärntnerisch-Steirischen-Nano-Stonehenge vorbei joggen zu sehen.

Foto: Thomas Rottenberg

Ein bisserl mehr als 2200 Meter ist der Schoberriegel hoch. Vom Turracher See sind das (kumuliert) etwas mehr als 500 Höhenmeter. Aber der Anstieg zieht sich nicht schön gemütlich über den Elf-Kilometer-Lauf hin: Nach viereinhalb flachen Kilometern macht die Strecke einen Knick - nach oben.

Foto: Thomas Rottenberg

Und wer hier bei 500 Höhenmeter auf drei Kilometern Strecke kein einziges Mal vom Laufen ins Gehen wechselt - der lügt. Oder ist Kenianer. Oder Kenianerin.

Foto: Thomas Rottenberg

Aber oben ist das dann wurscht: Null Grad? Starker, böiger Wind? Waschelnasse, kalte Füße, weil man in Wien, beim Packen, wieder mal vergessen hat, dass ein Berg immer ein Berg ist - und die goretex-folierten Traillaufschuhe daheim mit den Handschuhen kuscheln? Egalegalegal: Man teilt den Müsliriegel, der doch irgendwie in die Tasche gerutscht ist, brüder- und schwesterlich. Stellt schmunzelnd fest, dass das eine Zusatz-Leiberl im (vorher noch belächelten) Trailrucksack plötzlich eine mehr als dankbare Abnehmerin findet. Und wie zur Belohnung - und dem Wetterbericht zum Trotz - reißen die Wolken auf. Besser geht nicht. Schöner sowieso nicht.

Foto: Thomas Rottenberg

Trotzdem: Bevor wir auskühlen, sollten wir weiter. Ein Blick auf die Uhr: Daheim, in der Stadt, säße ich noch nicht einmal beim Frühstück. Gutes Stichwort. Plötzlich meldet sich der Hunger.

500 Höhenmeter hinunter zum See. Dann wieder 100 hinauf, auf unsere Hütte: Duschen. Müsli. Tee. Und danach in die Landschaft schauen. Sonst nichts. Und kapieren, dass genau dieses Nichts wertvoll ist. "Dieses Gefühl", sagt einer aus der Gruppe, "kann man nicht kaufen. Denn wenn man es versucht, bekommt man es nicht. Nie."

Foto: Thomas Rottenberg

Die Berglaufcamps von "Run2Gether" gibt es noch bis September. Laufcamps in Kenia werden ebenfalls angeboten - Informationen dazu gibt es unter www.run2gether.com.

Infos über die Turracher Höhe findet man hier: www.turrach.at

Was Rottenberg sonst noch so treibt?

www.derrottenberg.com

Der Besuch beim Höhenlaufcamp war eine Einladung von Turracher Höhe & Run2Gether.

Foto: Thomas Rottenberg