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Gegner, die miteinander lachen können: Den britischen EU-Skeptiker Nigel Farage erinnert die Wahl Jean-Claude Junckers an "Sowjetzeiten", aber er bewundert seinen Humor.

Foto: REUTERS/Vincent Kessler

Das Abstimmungsergebnis fiel am Ende nicht berauschend aus. Aber es war doch eine deutliche Mehrheit der EU-Abgeordneten, die Jean-Claude Juncker am Dienstag im Plenum in Straßburg zum neuen Präsidenten der EU-Kommission bestimmt und sein vorgelegtes Programm unterstützt hat: 422 Abgeordneten stimmten für, 250 gegen ihn, bei 47 Enthaltungen und zehn ungültigen Stimmen. 22 der insgesamt 751 Mandatare nahmen gar nicht teil.

Um gemäß dem EU-Vertrag im Parlament bestätigt zu werden, hätte dem früheren luxemburgischen Premierminister eine absolute Mehrheit aller Mandate gereicht, also 376 Stimmen. Dass es gut vier Dutzend mehr wurden, hatte der Christdemokrat aber offenbar gar nicht seinen "Koalitionspartnern" von den Sozialdemokraten zu verdanken.

Von den 191 SP-Abgeordneten dürfte sich sogar ein gutes Viertel gegen ihn entschieden haben. Vor allem Abgeordnete aus Frankreich, Spanien, Portugal verweigerten die Gefolgschaft. Ihnen war Junckers Wirtschaftsprogramm zu wenig sozial. Genau wird man das nie wissen, weil die Abstimmung geheim war. Aber aus den fraktionsinternen Vorgesprächen und bei der Plenardebatte nach Junckers "Bewerbungsrede" am Vormittag ließ sich ableiten, dass es vor allem ein großer Teil der liberalen Fraktion (Alde, 67) und ein Drittel der 50 Grünen waren, die für den neuen Kommissionschef votierten - neben den 221 von der Volkspartei (EVP). Die grüne Ulrike Lunacek etwa hofft auf "gute Kooperation" mit Juncker, ihre Kollegen Michel Reimon und Monika Vana stimmten gegen ihn.

Liberalenchef Guy Verhofstadt begründete die Unterstützung des Neuen vor allem damit, dass er bereit sei, einen eigenen Kommissar für Grundrechte und Vertragstreue und einen fairen Ausgleich von Männern und Frauen in der Kommission zu schaffen.

Klare Front zu Rechten

Die Mehrheit für Juncker ist vor dem Hintergrund zu sehen, dass beide EU-skeptischen Fraktionen - jene mit den britischen Tories, die andere von Ukip-Chef Nigel Farage - ihn komplett ablehnten; ebenso die Mandatare der fraktionslosen Rechtsextremen unter verbaler Führung von Marine Le Pen vom französischen Front National. Sie kommen insgesamt auf 170 Mandate (darunter vier FPÖ).

Die Linksfraktion (50 Mandate) kündigte ebenfalls radikale Opposition an, so wie Le Pen den Kommissionschef "mit allen Mitteln bekämpfen" will. Farage beklagte eine "Beleidigung der Wähler". Juncker bedankte sich bei Le Pen ausdrücklich dafür, dass sie ihn nicht wähle, weil er von Rechtsradikalen gar nicht gewählt werden wolle. Bei der Vorstellung seines Programms hatte er gar nicht erst versucht, seine Linie des EU-Integrationisten und Anhängers der sozialen Marktwirtschaft zu relativieren, was ihm auch viel Applaus einbrachte.

Punkt eins seiner zehn Prioritäten in den Leitlinien ist die Schaffung von mehr Wachstum und Jobs, vor allem für die Jungen. In drei Jahren will Juncker 300 Milliarden Euro aus staatlichen und privaten Töpfen dafür mobilisieren. Infrastrukturen sollen ausgebaut, der Energie- und Digitalbinnenmarkt gestärkt werden - Letzterer mit einem Wachstumspotenzial von 250 Milliarden Euro.

Was die Währungsunion betrifft, will Juncker eine deutliche Stärkung des gemeinsamen Regierens der Eurostaaten. Am Stabilitätspakt solle nicht gerüttelt, dieser aber sozial vernünftig angewendet werden.

Parlamentspräsident Martin Schulz hob die "historische Bedeutung" der Juncker-Wahl für die Demokratie hervor, da er aus einem gemeinsamen Prozess von Parlament und Regierungschefs ins Amt kam. (Thomas Mayer aus Straßburg, DER STANDARD, 16.7.2014)