Ein Medikament mit langer, schmerzvoller Geschichte.

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Basel - Unter dem Markennamen Contergan wurde der Arzneistoff Thalidomid berüchtigt: Tausende Kinder kamen in den 1960er-Jahren mit Fehlbildungen zur Welt, nachdem ihre Mütter das vermeintlich harmlose Beruhigungsmittel während der Schwangerschaft eingenommen hatte.

Wiederkehr nach dem Skandal

Jahrzehnte nach dem Contergan-Skandal, von dem in erster Linie Deutschland betroffen war, während es in Österreich aufgrund restriktiver Rezeptpflichtregeln verhältnismäßig wenige Fälle gab, erlebte der Wirkstoff jedoch eine unerwartete Renaissance auf ganz anderem Gebiet: unter anderem im Kampf gegen Krebs.

Ende der 1990er-Jahre zeigte sich, dass Thalidomid und abgewandelte Formen davon gegen einige Blutkrebsarten und Hautentzündungen bei Lepra wirken. Unter strengen Sicherheitsauflagen sind solche Wirkstoffe jetzt vor allem in der Hämatologie gegen Blutkrebs wieder im Einsatz.

Untersuchung der Wirkungsweise

Ein Team um Nicolas Thomä vom Friedrich-Miescher-Institut in Basel hat nun mit aufwendigen Kristallstrukturanalysen sowohl die positiven wie die negativen Wirkungen von Thalidomid aufgeklärt. Es zeigte sich, dass es mit einem Eiweißkomplex interagiert, der zur Abbaumaschinerie der Zelle für Proteine gehört, wie die Forscher im Fachjournal "Nature" berichten.

Je nach Konfiguration aktiviert oder hemmt Thalidomid diesen Eiweißkomplex. Für die Behandlung von Blutkrebs ist ausschlaggebend, dass durch Thalidomid zwei Proteine namens Ikaros und Aiolos verstärkt für den Abbau markiert werden.

In einer anderen Konfiguration verhindert Thalidomid jedoch, dass ein bestimmtes Molekül an den Eiweißkomplex binden kann. Dieses bisher unbekannte Protein namens MEIS2 spielt eine wichtige Rolle bei Vorgängen der Embryonalentwicklung. Darin liegt vermutlich die Ursache der Fehlbildungen. Negativ wirkte sich in den 1950er-Jahren bei der Entwicklung des Wirkstoffes aber auch aus, dass es damals noch nicht so umfassende präklinische Studien zu neuentwickelten Substanzen gab. Dadurch hätte eventuell die keimschädigende Wirkung von Contergan noch vor Zulassung des Medikamentes entdeckt werden können.

Gezielter Einsatz ist entscheidend

Die Forscher hoffen nun, "in der Zukunft in der Lage zu sein, gezielt Verbindungen herzustellen, welche die positiven Effekte von Thalidomid verstärken und die negativen zu minimieren", so Thomä. (APA/red, derStandard.at, 17.7.2014)