Auf der einen Seite die üblichen widerlichen antisemitischen Ausbrüche, auf der anderen Seite die übliche totale Abwesenheit von jeglicher Empathie für die Menschen im Gazastreifen - auf 50 bis 70 Prozent wird der Anteil der Zivilisten unter den Toten der Auseinandersetzung geschätzt. Niemand ist schuldig geboren, nicht diesseits und nicht jenseits der Grenze. Diese unselige historische Verstrickung, in der sich Israelis und Palästinenser befinden - und in der die europäische Geschichte ihre grausige Rolle gespielt hat -, kennt nur Verlierer.

Am Morgen nach der Ausweitung der israelischen Operation im Gazastreifen - wobei allen bewusst sein sollte, dass es noch Eskalationsmöglichkeiten nach oben gibt - lässt sich Folgendes konstatieren: Es gab die Möglichkeit, den Zug anzuhalten, aber die Akteure im Gazastreifen, aus ihren eigenen widersprüchlichen Gründen, wollten das nicht. Gemeint ist damit nicht so sehr der in Kairo vermittelte, aber abgelehnte Vorschlag einer Waffenruhe - da gab und gibt es noch Spielraum -, sondern der durch einen Tunnel vom Gazastreifen geplante und von Israel vereitelte Anschlag auf den Kibbuz Sufa. Jene, die da dahintersteckten, suchten die Ausweitung des Konflikts.

Es ist eine sehr komplexe Gemengelage. Pauschal bezeichnet Israel alles, was vom Gazastreifen kommt, als "Hamas". Die Entführung dreier junger Siedler im Westjordanland wurde von der israelischen Regierung zu einer Operation gegen die Hamas benützt, deren Ziel über die Rettung der drei Jugendlichen weit hinausging. Die Hamas, deren militärische Potenz seit der letzten Auseinandersetzung im Jahr 2012 weiter gestiegen ist, ist als stiller Teilhaber der Palästinenserregierung von Präsident Mahmud Abbas für Israel eben viel unangenehmer als früher.

Aber die Hamas ist in der seltsamen Lage, gleichzeitig schwach zu sein. Denn durch die regionalen Verschiebungen - den Regimewechsel in Kairo, die Schwächung Katars, den Aufschwung einer noch viel radikaleren Kategorie von Islamisten im ganzen Nahen Osten - ist sie isoliert, geschwächt im arabischen Kontext. Das war ja auch der Grund, warum sie fast ohne Bedingungen in das Bündnis mit Abbas ging. Im Gazastreifen hat sie starke Konkurrenten, mit denen sie ihre eigene Position ständig verhandeln muss. Ein Einlenken ist da nicht vorgesehen. Das wussten natürlich auch jene, die ihr das Waffenruheabkommen in seiner dürren Form vorlegten, oder, besser, vorlegen ließen.

Auch wenn die militärischen Ziele Israels - vorübergehend - eingelöst werden, die Hamas wird danach noch immer da sein, in ihrer paradoxen Form. Gleichzeitig tut Israel natürlich nichts, was Abbas helfen könnte, im Gegenteil. Seine Position wird immer schwerer haltbar. Zwar ist es heute insofern anders, als sich die arabische Welt nicht einmal mehr rhetorisch geschlossen auf die Hamas-Seite schlägt. Aber heute gibt es wieder andere Ressourcen, viel gefährlichere: Isis und Konsorten. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 19.7.2014)