Schadet eine kleine Tachtel? Ja, sagen Experten: "Je sadistischer, weniger nachvollziehbar und regelmäßiger Derartiges vorkommt, umso drastischer sind die Folgen", erklärt die klinische Psychologin Hedwig Wölfl.

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"Hier strotzt die Backe voller Saft, da hängt die Hand, gefüllt mit Kraft. Die Kraft, infolge von Erregung, verwandelt sich in Schwungbewegung." In den Reimen und Bildern von Wilhelm Busch wird oft geschlagen, viel verletzt. Was sich wie aus längst vergangenen Zeiten liest, ist immer noch Alltag in vielen österreichischen Familien.

Die Watsch'n ist weiterhin oft Teil des Erziehungsprogramms vieler Eltern: Eine Befragung aus dem Jahr 2009 zeigte, dass fast die Hälfte auf Ohrfeigen setzte. Den Klaps auf den Po hielten sogar 62,3 Prozent für in Ordnung. Studien-Koautor Olaf Kapella, Gewaltforscher vom Familienforschungsinstitut in Wien, glaubt nicht, dass sich an den Zahlen etwas geändert hat. Der Innsbrucker Erziehungswissenschafter Josef Aigner geht sogar davon aus, dass diese Zahlen "zu niedrig sind. Es ist ein Kontinuum einer Nichtrückgängigkeit, dass Eltern noch immer Ohrfeigen und Ähnliches einsetzen", sagt er. Ein vergleichbares Bild zeigt eine Umfrage des Market-Instituts.

Überforderungssituationen

Was grotesk scheint: Das seit 25 Jahren gesetzlich verankerte Gewaltverbot in der Erziehung ist den meisten Erwachsenen bekannt. "Wusste im Jahr 2008 nur ein Drittel der Österreicher davon, sind es nach neuesten Erhebungen mittlerweile zwei Drittel", sagt Kapella. Das ändert aber nichts: "Einerseits befürworten Eltern klar ein Leitbild zur gewaltfreien Erziehung. Auf der anderen Seite zeigen Studien aber, dass in Überforderungssituationen noch immer zu körperlichen Strafen gegriffen wird."

Wird ein Kind in der Öffentlichkeit geschlagen, soll nicht geschwiegen werden: "Es wäre auch ein Signal an das Kind: Eltern dürfen das nicht. Zivilcourage gehört hier gefördert." Es würde auch niemand einem Erwachsenen, wenn der anderer Meinung ist, eine Ohrfeige verpassen, "bei Kindern gibt es diese Hemmschwelle offensichtlich nicht".

Erhebungen würden zeigen, sagt Aigner, dass "Buben mehr von körperlicher Gewalt betroffen sind. Es gibt auch eine leicht höhere Zahl von Müttern, die schlagen." Wobei sich "das auch daraus erklärt, dass sie viel mehr Zeit mit den Kindern verbringen und sie noch immer die Hauptlast der Erziehung stemmen".

Falsche Autorität

Aber schadet eine kleine Tachtel? Ja, sagen Experten. Zwar reagiere jedes Kind anders auf Gewalt durch Eltern und andere Bezugspersonen, aber klar sei, sagt die klinische Psychologin Hedwig Wölfl: "Je sadistischer, weniger nachvollziehbar und regelmäßiger Derartiges vorkommt, umso drastischer sind die Folgen. Diese Kinder sind ängstlicher als andere, haben weniger Selbstbewusstsein, und Selbstwert und Beziehungsfähigkeit leiden massiv." Statt "hilfreicher Autorität erleben Kinder eine falsche Autorität durch Gewaltausübung".

Letzteres habe immer auch mit Demütigung zu tun: "Gibt es körperliche Sanktionen regelmäßig, wird Gewalt als eine Möglichkeit, in Konflikten zu reagieren, angesehen." Eltern, die glauben, mit derartigen Methoden erzieherische Effekte zu erzielen, irren: "Aus psychologischer Sicht macht die körperliche Bestrafung überhaupt keinen Sinn. Es gibt nämlich keinen Erziehungserfolg. Sie ist auch eine Art Anregung. Statt das Erregungsniveau zu senken, um dadurch wieder mit dem Kind reden zu können, schraubt man es nur weiter in die Höhe", erklärt Manuel Sprung, Professor für Klinische Kinder- und Jugendpsychologie an der Uni Wien.

Er fragt sich auch: "Woher wissen Erwachsene, dass ein Klaps auf den Po nicht wehtut?" Sprung fällt es "schwer, zwischen schweren und leichten Formen von Gewalt zu trennen", denn: "Ein Kriterium ist ja auch das subjektive Empfinden des Kindes. Einzelne werden recht schnell etwas als sehr bedrohlich und traumatisierend empfinden." Gewaltforscher Kapella hält es so fest: "Um es deutlich zu sagen: Auch eine Ohrfeige ist ein Verstoß gegen das Gewaltverbot."

Durchschnaufen und Reden hilft

Aber was tun? Der Kinderpsychologe rät zu "milden Strafen wie ein Time-out, wo man das Kind für eine kurze Zeit aus dem Geschehen nimmt, ihm keine Anreize bietet und somit Langeweile einsetzt". Für Erziehungswissenschafter Aigner ist es "letztlich ein gesamtgesellschaftliches Problem, eine Schieflage in der Work-Life-Balance". Jede Maßnahme, die die Eltern im Alltagsgetriebe unterstützt, würde die Gewalt senken. Aigner: "Untersuchungen in Skandinavien zeigen deutlich, dass Elternbildung hilft. Daher plädiere ich für eine teilobligatorische Elternbildung, die im Mutter-Kind-Pass festgeschrieben ist. Wer Kurse besucht, bekommt eine höhere Förderung. Denn eines ist sicher: Kundige Eltern schlagen weniger."

Sozialpädagoge Kapella empfiehlt Eltern vor allem eines: eine Pause einlegen. "Ich muss nicht sofort reagieren. Zwei, drei Minuten und durchschnaufen, sich Zeit zum Überlegen und für eine Reaktion verschaffen. Eventuell mit dem Partner kurz reden. Das hilft." Statt einer Laisser-faire-Erziehung sollten andere Sanktionsmöglichkeiten angewandt und kreativer Grenzen gesetzt werden: "Wenn ein Gespräch nichts nützt, kann der Tagesablauf geändert werden, Dinge, die man vorhatte, abgekürzt werden. Man darf auch Verbote aussprechen, aber", sagt der Sozialpädagoge, "Eltern müssen nicht die Hand auspacken." (Peter Mayr, DER STANDARD, 22.7.2014)