Gewerkschafterin, Kriegerwitwe, Alleinerzieherin: Rehor.

Foto: Parlamentsdirektion

Jahrzehntelang galt es als ungeschriebenes Gesetz der österreichischen Sozialpolitik, dass das Sozialministerium stets mit einem Gewerkschafter zu besetzen ist - erst in der schwarz-blauen Koalition wurde davon abgegangen. Dabei war schon in den 1960er-Jahren die Situation eingetreten, dass die SPÖ nicht in der Regierung vertreten war.

Am 6. März 1966 hatte die ÖVP vier Mandate und erstmals die absolute Mehrheit gewonnen - nach wochenlangen Koalitionsverhandlungen entschloss sich die SPÖ mit 20 gegen zehn Stimmen für den Gang in die Opposition, und Bundeskanzler Josef Klaus stand vor der Aufgabe, eine monocolore Regierung zu bilden.

Er erstellte seine Ministerliste rasch, um den Bünden keine Gelegenheit zu geben, ihre Machtspiele zu spielen. Nach der bündischen Logik hätte ÖAAB-Generalsekretär Karl Kummer, ein bewährter Sozialpolitiker, Arbeiterkämmerer und Gewerkschafter, der erste "schwarze" Sozialminister der Zweiten Republik werden können. Doch Klaus überraschte mit der Nominierung einer Frau: Grete Rehor war mit Kummer im christlichen Widerstand gegen die Nazis gewesen und hatte die Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB mitaufgebaut.

Indem Klaus die erste Frau überhaupt in ein Ministeramt nominierte, versuchte er das klerikal-reaktionäre Image abzustreifen, das die großkoalitionär geprägten Medien der damaligen Zeit der ÖVP-Regierung angedichtet haben.

Überhaupt die Medien! Die ersten Interviews, die man mit Grete Rehor führte, drehten sich vor allem um die Frage, wie sie als Frau es schaffen würde, Ministeramt und Haushalt unter einen Hut zu bringen.

Na ja. Rehor war zum Zeitpunkt ihrer Angelobung bereits 23 Jahre verwitwet, ihr Mann Karl Rehor war als Christgewerkschafter von den Nazis verhaftet und zur "Bewährung" in den Kampf um Stalingrad geschickt worden, wo er gefallen ist. Die gemeinsame Tochter war mit dem Studium fertig und Grete Rehor eine erfolgreiche Gewerkschaftsfunktionärin.

Begonnen hatte die 1910 geborene Grete Daurer ihre Karriere 1929 als Sekretärin im Zentralverband der christlichen Textilarbeiter Österreichs und war gleichzeitig in der Arbeiterkammer tätig - übrigens auch in der Zeit des Ständestaats, als sie mit "Jugend in Not" und "Jugend am Werk" Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit setzte. So traf sie Karl Rehor und Josef Klaus.

Als Letzterer sie 1966 in die Regierung holte, hatte sie klare politische Vorstellungen: soziale Sicherheit für alle und Gleichstellung der Frauen, deren Benachteiligung sie als Textilgewerkschafterin nur allzu gut gekannt hat. 1970, bei der Übergabe des Sozialressorts an den Sozialisten Rudolf Häuser, konnte sie eindrucksvoll bilanzieren: Sie hatte mehr als 100 sozialgesetzliche Änderungen erreicht, darunter das Arbeitsmarktförderungsgesetz und die Umwandlung der landwirtschaftlichen Zuschussrente in eine vollwertige Pension. Die reale Erhöhung der Pensionen betrug 22 Prozent und die Erhöhung der Sozialbudgets 1965 bis 1970 gar 66 Prozent. Und einen neuen Feiertag führte sie ein: Seit 1967 ist der Nationalfeiertag 26. Oktober arbeitsfrei.

Grete Rehor starb 1987, der Park neben dem Parlament wurde nach ihr benannt. (Conrad Seidl, DER STANDARD, 22.7.2014)