
Neil Young (re.) kuschelt mit seiner Band Crazy Horse. Drei Quadratmeter reichen dafür.
Im Auge des Orkans ist es still. Das weiß der Meteorologe und seit 1977 jeder Hippie. Damals veröffentlichte Neil Young auf dem Album American Stars 'n Bars das Lied Like a Hurricane. Das hat er zwar nicht gespielt, als er am Mittwoch mit Crazy Horse in der Wiener Stadthalle aufgedreht hat.
Dennoch kann einem dieser Song immer in den Sinn kommen, wenn man Young und seiner Begleitband Crazy Horse zusieht. Wie sie auf den größten Bühnen nahe zusammenstehen und eigentlich keiner mehr Platz bräuchte, als einem eine Telefonzelle zugesteht. Dass man damit ein Auskommen findet, hat Young gerade erst bewiesen, als er mit Jack White A Letter Home aufgenommen hat.
Da standen sie also auf engstem Raum wie alte Kuschelbären und erzeugten einen Sturm, ohne selbst davon besonders beeindruckt zu wirken. Neil, 68, Frank Sampedro, 65, und Rick Rosas, 64, der für den erkrankten Billy Talbot eingesprungen war. Hinten schlug Ralph Molina stur die Eins. Der ist 69. Bis auf Neil alles Stoiker vorm Herren.
Gegen das Schlechte
Drei treue Sancho Pansas eines modernen Don Quijote, der seit den späten 1960er-Jahren gegen eine schlechte Welt ansingt. Mit schmallippiger Entschlossenheit, unbeirrbar, wettert er gegen den Krieg, gegen die Zerstörung der Umwelt, gegen die Öllobby, gegen die falsche Politik seiner Wahlheimat.
Dabei schlug er über die Jahre und auf rund 40 Studioalben stilistische Haken sonder Zahl, kehrte aber immer wieder zum Countryrock zurück. Wie ausbaufähig und belastbar dieses Genre ist, hat er auf vielen Alben gezeigt. Eines seiner besten, Ragged Glory aus 1990, bescherte dem in den USA lebenden Kanadier damals die Zuschreibung "Godfather of Grunge". So falsch war das nicht. Immerhin nahm Young derlei frische Winde immer wohlwollend auf. Ende der 1970er-Jahre Punk, zu Beginn der 1990er Grunge.
Gospel
Im Herzen ist er jedoch ein Hippie. Das widerspiegelte die Setlist des Abends, aus der man vermeinte, Youngs Sorge um den aktuellen Zustand der Welt herauszulesen. Manche Titel lesen sich wie Manifeste: Love and only Love. Love to Burn. Living with War. Who's Gonna Stand up and Save the Earth. Dazu eine akustische Version von Dylans Blowin' in the Wind.
Love to Burn verschleppte der Meister zwar an die Geduldsgrenze, einige Einsätze der Band konnte man als entrisch bezeichnen, aber am Ende zählt die Wirkung. Diese unterstrichen zwei beseelte Chordamen, die Youngs Vortrag von links hinten unterstützten.
Das mündete in ein paar der schönsten Momente der Show. Etwa als Dorene Carter und YaDonna West während Days that Used to Be in Call-and-Response-Gesang mit ihrem Arbeitsgeber einfielen und den Song mit der Zeile "People say don't rock the boat" als Gospel auflösten.
In größter Pracht erblühte diese Zusammenarbeit während Living with War. Die beiden Damen bescherten Youngs entwaffnender Naivität eine Gemütsschwere, wie nur Soul Music sie zu vermitteln mag. Fortgesetzt wurde diese Stimmung zur Mitte des Konzerts. Da ließ Young seinen verrückten Gaul kurz verschnaufen und flötete zur Akustischen Blowin' in the Wind durch die Harmonika, wieder getragen vom Chor. Dann kam Youngs Blowin', das so unvermeidliche wie unverwüstliche Heart of Gold.
Damit war der Lagerfeuerteil der Show abgeschlossen. Es folgte eine forsche Sichtung des Barstool Blues, dann warf Neil die Psychedelic Pill ein, das Titelstück seines 2012er-Albums. Diese zeitigte dann leider eine zäh mäandernde Version von Cortez the Killer, die auch längenmäßig ausuferte.
40 Herzschläge
Immerhin konvenierte sie bestens mit der Bühnenerscheinung des Bassisten Rick Rosas, der das ganze Konzert hindurch seinen Ruhepuls von geschätzten 40 Herzschläge pro Minute nicht überschritt. Er wirkte, als komme er gerade von einer längeren Sitzung mit sich und seiner Friedenspfeife. Aber gut, solange das Handwerk nicht darunter leidet. Und das war blendend – wie die Stimmung des Alten.
Verabschiedet hat Young sich mit Rocking in the Free World; auch so ein Manifest, das der Saal euphorisch empfing und in dem sogar Rosas' Temperament kurz in den zweiten Gang hochschaltete. Immer ein Highlight. Die Zugabe mit Who's Gonna Stand up and Save the Earth nahm schließlich noch den Saal in die Pflicht.
Neil Young ließ an den Zugängen des Saals hunderte schwarze T-Shirts verschenken. Es gab zwei Sujets. Das eine lautete "Protect", das andere "Earth". Nach der Frage Who's Gonna Stand up and Save the Earth deuteten Young und Sampedro ins Publikum und riefen: "You! You! You!"
Männer auf Mission, ein Saal mit einem Auftrag. Besser geht's kaum. (Karl Fluch, derStandard.at, 24.7.2014)